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Wärmstes und folgenschwerstes Jahr für Lateinamerika

Das Jahr 2023 war das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 174 Jahren. Das belegen mehrere wissenschaftliche Untersuchungen. Das hat zwar Konsequenzen für die gesamte Menschheit, Lateinamerika gilt jedoch als eine der am meisten geschädigten Regionen.

Von Nicolás Bustamante Hernández (scidev.net / servindi / NPLA)

Nach dem „Vorläufigen Zustandsberichts des Weltklimas 2023“ der Weltwetterorganisation WMO deuteten Daten vom Oktober letzten Jahres darauf hin, dass die weltweite Durchschnittstemperatur in Bodennähe 1,40°C über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900 lag. Bislang lagen die wärmsten Jahre 2016 mit 1,29°C und 2020 mit 1,27°C über dem Durchschnittswert. Auch der europäische Copernicus-Dienst zur Überwachung des Klimawandels meldete Anfang November, dass 2023 das wärmste Jahr seit der vorindustriellen Zeit war.

Álvaro Ávila ist Professor der Geowissenschaften an der Universidad del Rosario in Bogotá, Kolumbien. Er sagt, die negativen Auswirkungen des wärmsten Jahres würden noch durch verschiedene Faktoren verschärft. Zu diesen Faktoren gehört etwa das Wetterphänomen El Niño sowie der durch Treibhausgasemissionen verursachte Klimawandel. „Zwischen Juli und September haben wir die Auswirkungen von El Niño klar gesehen. Beispielsweise stieg der Meeresspiegel vom tropischen Pazifik bis hin zur mittel- und südamerikanischen Küste“, so Ávila.

Anstieg des Meeresspiegels, Gletscherschmelze, Waldbrände

Von all den negativen Konsequenzen des extremen Klimas im vergangenen Jahr sticht für Ávila besonders der unerwartet starke Rückgang des Antarktis-Seeeises hervor. Außerdem sind die Gletscher im Westen Nordamerikas und den Alpen extrem geschmolzen. Als drittes nennt er die gravierenden sozioökonomischen Folgen, darunter auch die Waldbrände besonders schlimmen Ausmaßes auf Hawaii, in Kanada und Europa.

Der Wissenschaftler hebt außerdem die weltweit gestiegene Anzahl an extremen Hitzewellen hervor, wie sie in Brasilien im letzten Jahr gehäuft auftraten. Die stärkste trat erst im November auf und legte große Teile des Landes mit Temperaturen über 40°C lahm. Unter anderem starb ein Taylor-Swift-Fan während eines Konzertes in Río de Janeiro.

„Die Regionen mit dem größten Regenmangel sind der Südosten Südamerikas, das Amazonasbecken und große Teile Mittelamerikas“, so die WMO. So sind die Niederschläge in Argentinien zwischen Januar und August 20 bis 50 Prozent unter dem Durchschnittsniveau geblieben – zum vierten Jahr in Folge, so der Report.

Die Untersuchung geht außerdem darauf ein, dass Argentinien große Ernteverluste hinnehmen musste. Der Weizenertrag sank beispielsweise um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Sommer 2022/2023. Auch im Nachbarland Uruguay erreichte der Wassermangel neue Negativrekorde und wirkte sich auch auf die Wasserversorgung der Hauptstadt Montevideo aus.

Klimatischen Gefahren werden gravierender und häufiger

Ávila schlussfolgert anhand des WMO-Berichts, dass die meteorologischen und klimatischen Gefahren für Lateinamerika gravierender und häufiger werden. Das verstärke die Klimakrise im kommenden Jahrzehnt. „Das führt zu steigenden Lebensmittelpreisen. Die gefährdete Ernährungssouveränität der Region und die Vertreibung vulnerabler Bevölkerungsgruppen sind Grund zur Sorge. Es sollten dringend effiziente Maßnahmen getroffen werden, sich an den Klimawandel anzupassen oder dessen Auswirkungen zu mindern“, so der Experte.

Paola Arias, Klimatologin und Professorin an der Universidad de Antioquia in Medellín, Kolumbien, stimmt ihm zu: Verschiedenste Zonen des Kontinents wie Zentralamerika und die Karibik, das Orinoco-Becken und mehrere Orte im Cono Sur werden unter den Folgen des Temperaturanstiegs leiden. „In manchen Zonen wird es vermehrt Waldbrände geben. Das geschieht heute im Wesentlichen in den trockenen Regionen Chiles. Das Phänomen beobachten wir nun auch zunehmend in anderen klimatischen Zonen“, so Arias, die auch Mitglied des Weltklimarats IPCC ist.

Die Expertin weist mit Nachdruck auf die Folgen für die menschliche Gesundheit hin, beispielsweise auf Grund des fehlenden Zugangs zu Trinkwasser für viele Bevölkerungsgruppen Lateinamerikas. „Auch die Landwirtschaft wird sich den Herausforderungen steigender Temperaturen und der folgenden Wasserknappheit stellen müssen. Wir sprechen da von einer Bevölkerung, die keinen gesicherten Zugang zu Elektrizität hat, das macht sie noch verwundbarer”, fügt die Wissenschaftlerin hinzu.

Vergangene Jahre waren heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen

Álvaro Ávila erklärt, dass es schwierig ist, die Temperaturen in 2024 vorherzusagen. „Dennoch waren die letzten neun Jahre von 2015 bis 2023 die neun heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung.”

„Die Wissenschaft belegt immer wieder mit verschiedenen Klimamodellen, wie gravierend die Folgen eines so heißen Klimas sein werden. Wir können davon ausgehen, dass die Wetterextreme noch mehr Gesellschaftsschichten schaffen werden, wenn keine Maßnahmen geschaffen werden, um gegen Gefahren wie Überschwemmungen, Starkregen, Dürren oder Hitzewellen vorzugehen.“

Und er schließt mit den Worten: „Wir rufen dazu auf, sich darauf vorzubereiten, klimatisch intelligente Entscheidungen zu treffen. Das Ziel ist, Resilienz aufzubauen und Nachhaltigkeit zu schaffen. Nicht nur für das kommende Jahr, sondern auch für die nächsten Jahrzehnte.”

Übersetzung: Patricia Haensel


Dieser Beitrag erschien am 15.01.2023 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. Originalartikel: scidev.net/servindi

Titelbild: Die Feuerwehr bei einer Übung (Symbolbild). Foto: form/PxHere (CC0 Public Domain)

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