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Der Spagat zwischen Journalismus und politischem Bekenntnis

Die NZZ blickt kritisch hinter das Netzwerk Correctiv. Aber wie steht es mit der Eigenkritik?

Ein Kommentar von Urs Heinz Aerni

In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 10. Februar sind mehrere Texte zu finden, die sich mit dem bundesweiten Protest für Demokratie und gegen AfD beschäftigen. Ein Untertitel lautet in der Zeitung so: «Angebliche Deportationspläne treiben Millionen auf die Straße». Es gehört zum kritischen und guten Ton, sich nicht ganz sicher zu sein, ob über solche Pläne gesprochen wurde.

Der Artikel des Recherchenetzwerks Correctiv vom 10. Januar 2024, dass in Potsdam ein Treffen stattfand an dem AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer Pläne für «die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland» geschmiedet haben sollten, treibt abertausende Menschen auf die Straßen, um für eine freie Demokratie zu appellieren. Sogar am Karnevalsfest «Mainz bleibt Mainz» kriegt die AfD ihr Fett weg, mit Standing Ovation.

Geld und Haltung 

Zurück zur NZZ. In der besagten Ausgabe sind kritische Töne gegenüber dem Netzwerk Correctiv zu lesen unter dem Titel «Eine Recherche verselbstständigt sich». Die AfD versucht die Glaubwürdigkeit von Correctiv zu schwächen, mit dem Hinweis der Art und Weise der Finanzierung. Die NZZ zählt Beträge auf, die u. a. aus der Landeshauptkasse Nordrhein-Westfalen aufs Konto von Correctiv flossen. Sie zitiert aber auch die Mitteilung, dass öffentliche Gelder nicht die redaktionelle Arbeit von Correctiv finanzierten, sondern in eine «Tochtergesellschaft des gemeinnützig organisierten Mediums» gelangen.

Die NZZ, genauer Oliver Maksan aus Berlin, erwähnt im kritischen Ton, dass Correctiv laufend via Ticker von den Massenprotesten mit jeweiligen Teilnehmerzahlen berichten und setzt das Fazit: «Der Weg vom Journalismus zum Aktivismus ist bei Correctiv kurz».

Mit anderen Worten, die NZZ misstraut der Berichterstattung von Correctiv. Warum? Weil Gelder aus der öffentlichen Hand fließen, das Umfeld für eine politische Haltung steht und weil ein ehemaliger Journalist der «Welt» 2016 einer AfD-Politikerin eine Torte ins Gesicht drückte und heute für das Netzwerk arbeitet. 

Kritik aus dem Glashaus

Es ist wichtig und richtig, die Qualität von Journalistischen Medien – egal welcher Couleur – kritisch zu hinterfragen, in Qualität und Stil. Wie die NZZ mit ähnlichen Fragen an ihrer Arbeit umgeht, darf ruhig auch mal zum Thema werden. 

Am 9. Oktober 2023 erschien von Markus Schär in der NZZ ein Text mit dem Titel «Das Schweizer Fernsehen schürt seit 35 Jahren Klimapanik – oft wider die Wissenschaft und gerne auch vor den Wahlen». Das Ganze stand unter der Rubrik «Medienkritik» aber es war ein Angriff der weltanschaulichen Art. Kritische Reaktionen und Leserbriefe, die geschickt wurden, konnten nicht gefunden werden. Der neue Chef-Redakteur der NZZ am Sonntag freute sich in einem Editorial, dass ein «echter Liberaler» für die Mitarbeit gewonnen werden konnte. Ressorts für Debatten und Meinungen wurden ausgebaut.

Ja, es ist bekannt, dass die NZZ ein Blatt des Freisinns ist und ja, es ist Tradition, dass die NZZ vor allen Abstimmungen regelmäßig offiziell Empfehlungen der Leserschaft abgibt, so auch in der Ausgabe des 10. Februars. Zum Beispiel lehnt die NZZ die «Mythenpark-Initiative» ab und befürwortet die Pistenverlängerung des Flughafens Zürichs. Nur, sehen das alle Mitarbeitende so? Wer bestimmt eigentlich die politischen Empfehlungen der Zeitung? 

Medienkompetenz

Wie ist «Aktivismus» zu definieren? Wie darf politische Meinung dergestalt medial verpackt werden, dass es noch unter «Qualitätsjournalismus» laufen darf?

Unter den Richtlinien für «Publizistische Grundsätze» des Deutschen Presserats ist Folgendes zu lesen: «Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.»

Wie sich die Medienlandschaft weiter entwickeln wird, wissen wir nicht. Das gilt auch für den Berufsstand für Medienschaffende und Publizierende. Aber eines wissen wir, dass die Bildung und Sensibilisierung der Medienkompetenz für uns alle immer wichtiger wird. 

Abgesehen von was allem, was in diesem Hinterzimmer in Potsdam besprochen wurde, darf auch etwas Zuversicht aufkommen angesichts der vielen Menschen, die sich öffentlich für eine freiheitliche Demokratie bekennen. Oder?


Titelbild: Claudio Schwarz auf Unsplash

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