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Die Europäische Union als treibende Kraft im Verbraucher:innenschutz

Eines kann man mit Sicherheit sagen: Ohne EU würde es in Österreich viele Gesetze, die die Rechte der Verbraucher:innen stärken, nicht geben. Zu Recht kann man daher die Europäische Union in diesem Bereich als Motor bezeichnen. Aus der EU-Logik ist dies aber nur konsequent, denn EU-weit geltende Regelungen und Rechte für Verbraucher:innen sind wichtig für das Funktionieren des Binnenmarktes, der das Kernstück der EU bildet. Auch das Europäische Parlament verweist auf diesen politischen Ansatz: „Eine wirksame Verbraucherschutzpolitik sorgt dafür, dass der Binnenmarkt angemessen funktioniert.“

Von Gabriele Zgubic, AK Wien (A&W-Blog)

Dem Wettbewerbsrecht kommt bei diesem Konzept aus Verbraucher:innensicht eine wichtige Rolle zu, denn damit kann die Europäische Kommission gegen Anbieter:innen vorgehen. Dies tut sie z. B. in letzter Zeit gegen AppleAlphabet (Google) und Meta (Facebook). Es zeigt sich: Die Wettbewerbspolitik im Rahmen der EU-Binnenmarktpolitik ist für eine wirksame Verbraucher:innenpolitik wichtig.

Verstärkt wurde die behördliche Rechtsdurchsetzung einerseits durch europaweit agierende Behörden und Agenturen, wie etwa die Aufsichtsbehörden im Finanz-, Versicherungs- und Lebensmittelsektor, die Agentur für den Telekombereich BEREC, als auch durch die institutionalisierte Behördenkooperation bei grenzüberschreitenden Rechtsverstößen.

Vieles wurde in der Verbraucher:innenpolitik erreicht. Die Klimakrise, die rasante Digitalisierung des Alltags der Menschen und die Teuerung stellen allerdings Herausforderungen dar, die neue Ansätze und Prioritäten in der Verbraucher:innenpolitik brauchen.

Die mündigen Verbraucher:innen als theoretisches Luftschloss

In dem Konstrukt „freie Marktwirtschaft“ stehen sich Angebot und Nachfrage von Produzent:innen und Verbraucher:innen als gleichberechtigte Akteur:innen gegenüber und alle verfügen über alle Informationen, um ökonomisch gute Entscheidungen zu treffen. Der Markt regelt sich also scheinbar mit „unsichtbarer Hand“ von selbst. Dieses Postulat führt zum Leitbild des bzw. der mündigen Verbraucher:in, die nur gut informiert sein müssen, um ökonomisch vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Statt Märkte zu regulieren und die Rechtsdurchsetzung zu forcieren, setzte die EU lange auf dieses Leitbild und folglich bevorzugt auf die Festlegung von Informationspflichten. Jahrelang haben Verbraucher:innenorganisationen dieses Leitbild als weltfremd kritisiert und die „information overload“ angeprangert und mehr wirksame Regulierung und Rechtsdurchsetzung eingefordert. Die Verbraucher:innenforschung zeigt, dass Konsum oft keine rationale Entscheidung ist, sondern viel mit gesellschaftlichen und individuellen Werten, Gewohnheiten, Lebenssituationen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu tun hat. Zudem sind die Märkte nicht transparent, schon gar nicht in der digitalen Welt. Darüber hinaus blendet dieses Leitbild die soziale Dimension aus – es gibt Verbraucher:innengruppen, die wegen ihrer ökonomisch prekären Situation, wegen des Alters, fehlender Bildung etc. besonders schutzbedürftig sind, etwa bei Energiearmut. Diese dürfen aber nicht vergessen und exkludiert werden. Verschärft wurde die wirtschaftliche Situation vieler Menschen in der EU durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg. Die Zahl jener, die sich die wichtigsten Lebenshaltungskosten – Lebensmittel, Energie und Mieten – nicht mehr leisten können, steigt stark an.

Nicht zuletzt die rasche Digitalisierung des Konsumalltags zeigt aber, dass dieses Leitbild der „mündigen Verbraucher:innen“ nun endgültig über Bord geschmissen gehört, denn in der neuen digitalen Welt sind wir alle verletzlich und das muss konsequenterweise die Richtschnur für die Verbraucher:innenpolitik bilden.

Viele Akteur:innen an neuen Verbraucher:innenschutzstandards beteiligt

Beim Entstehen von EU-Gesetzen spielen viele Akteur:innen eine Rolle. Neben den drei EU-Institutionen Kommission, Parlament und Rat kommen dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und Lobbyorganisationen große Bedeutung zu. In der Verbraucher:innenpolitik ist die BEUC die einflussreichste Organisation, die die Interessen aller europäischen Verbraucher:innen auf EU-Ebene vertritt. Die BEUC ist die Dachorganisation der nationalen Verbraucherorganisationen; mit der Arbeiterkammer sind 45 Organisationen Mitglied. 2016 wählte die Zeitschrift „Politico“ die Generaldirektorin der BEUC Monique Goyens auf Platz 9 unter den 30 einflussreichsten Frauen in den Institutionen der EU. Auch nationale Organisationen wie das EU-Büro der Bundesarbeitskammer und das EU-Büro der deutschen Verbraucherzentrale sind aktiv und nehmen Einfluss. Aber klar ist, dass die Zahl jener Lobby-Organisationen, die Wirtschaftsinteressen vertreten, ungleich größer ist. So tummeln sich rund 12.000 Lobbying-Organisationen in Brüssel. Mehr als die Hälfte dieser Organisationen vertritt ausschließlich Unternehmensinteressen. Damit dominieren Konzerne, die Finanzindustrie und Wirtschaftsverbände die politische Bühne Europas. Diesen gelingt es immer wieder, verbraucher:innenfreundliche Vorschläge der Kommission oder des Parlaments zu verwässern oder gar zu verhindern, wie jüngst die Rücknahme von die Landwirtschaft betreffenden Maßnahmen für mehr Klima- und Umweltschutz gezeigt haben. Auch die Initiative für ein nachhaltiges Ernährungssystem wurde letztlich nicht mehr weiterverfolgt und der Nutriscore als einfach verständliche Nährwertkennzeichnung von der Lebensmittelindustrie bislang erfolgreich verhindert. Proteste, u. a. von der Arbeiterkammer, gegen die „neue Gentechnik“ waren vergeblich. Auch die Mitgliedstaaten spielen manchmal eine unrühmliche Rolle, wenn man etwa die fehlende Zustimmung Österreichs zum Lieferkettengesetz betrachtet.

Erstaunlich viele Erfolge für mehr Verbraucher:innenschutz

Dennoch können aus verbraucher:innenpolitischer Sicht viele Erfolge verzeichnet werden. Ein paar Beispiele:

  • Bei Flügen, Zug-, Bus- und Schiffsfahrten gibt es Entschädigungen für Verspätungen oder Ausfälle.
  • Für Reisende gibt es mehr Rechte und bei Insolvenz eines Reiseveranstalters eine Absicherung.
  • Billiger telefonieren und surfen im EU-Ausland durch Abschaffung der hohen Roaming-Gebühren.
  • Die Produktsicherheit etwa bei Spielzeug oder Kosmetika wurde verbessert und ein behördliches EU-Sicherheitsnetz wurde eingeführt. Auch Online-Marktplätze müssen mithelfen, gefährliche Produkte aus dem Verkehr zu ziehen.
  • Die Verwendung von Chemikalien in Produkten wurde eingeschränkt oder verboten.
  • Auch der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast wurde eingeschränkt.
  • Für Bankkund:innen gab es viele Verbesserungen, wie das Recht auf ein Basiskonto, bessere Informationen über die Gesamtkosten eines Kredites, raschere Überweisungen und manche Gebühren sind nicht mehr zulässig.
  • Die Lebensmittelkennzeichnung wurde verbessert.
  • Produkte sollen energieeffizienter sein, länger halten und durch das Recht auf Reparatur besser reparierbar sein.
  • Grüne Werbeversprechen (green claims) müssen belegt sein.
  • Mehr Schutz und Rechte in der digitalen Welt:
    • 14-tägiges Rücktrittsrecht beim Onlinekauf.
    • Datenschutz-Grundverordnung bringt einheitliche Datenschutz-Standards.
    • IT-Sicherheit und Kompatibilität sind als Konformitätskriterien festgelegt. Güter mit digitalen Elementen müssen mit Updates versorgt werden.
    • Auf Basis des Digitale-Dienste-Gesetzes (DSA) können Regulierungsbehörden nun gegen die Übermacht der dominanten Digitalplattformen vorgehen und diese werden mehr in die Pflicht genommen.
    • Regelung des Einsatzes von künstlicher Intelligenz.
  • Verstärkte behördliche und private Rechtsdurchsetzung:
    • Die EU-Mitgliedsstaaten müssen Schlichtungsstellen einrichten als niederschwellige und kostenlose Anlaufstellen für Verbraucher:innen im Streitfall mit Unternehmen.
    • Die Kommission finanziert gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten die Europäischen Verbraucher:innenzentren für Probleme mit Unternehmen in anderen EU-Staaten.
    • Die Sammelklagen-Richtlinie bietet die Grundlage zur effizienten Abwicklung von Massenschäden.
    • Europäische Aufsichtsbehörden, Agenturen und ein EU-weites Behörden-Kooperationsnetzwerk sorgen für behördlichen Verbraucher:innenschutz und gehen gegen Rechtsverstöße vor.
    • Die Kommission kann wettbewerbsrechtlich gegen Marktmissbrauch, der Verbraucher:innen benachteiligt, vorgehen.

Eine beeindruckende Liste. Klar ist aber, dass es bei vielen Regelungen um das Funktionieren des Binnenmarktes geht, um Abbau von Hemmnissen des freien Warenverkehrs und um das Ziel, dass mehr Auswahl, mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen führt. Diese Prioritätensetzung ist angesichts der aktuellen Herausforderungen schon lange nicht mehr zeitgemäß. Es braucht eine wesentlich stärkere Ausrichtung hin zum ökologisch wie sozial nachhaltigen Verbraucher:innenschutz sowie ein sicheres Umfeld in der digitalen Welt.

Neue Herausforderungen im Verbraucher:innenschutz

Sozial-ökologische Transformation

Auf europäischer Ebene muss es ein prioritäres Ziel sein, dass auch künftige Generationen eine lebenswerte, solidarische Welt vorfinden, in der ein gutes Leben möglich ist. Es braucht Anstrengungen und Fokussierung auf eine sozial-ökologische Transformation. Diese Herausforderungen kann man nur gemeinsam auf europäischer, zum Teil auch nur auf globaler Ebene lösen. Nötig ist ein Übergang hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Produktionsweise, die gerecht und im Sinne der europäischen Bürger:innen, ob in ihrer Rolle als Verbraucher:innen oder Arbeitnehmer:innen, gestaltet werden muss. Dazu gehört eine Dekarbonisierung, eine Energie- und Mobilitätswende, eine andere Art der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, eine Kreislaufwirtschaft, die sozial gerecht gestaltet ist. Die „Farm to Fork“-Strategie, die das Ernährungssystem fairer, gesünder und umweltfreundlicher gestalten soll, muss weiterverfolgt werden. Die Einführung des Nutriscore – eine leicht verständliche Nährwertkennzeichnung – bei Lebensmitteln und eine Tierwohlkennzeichnung sollen Konsumentscheidungen unterstützen. Die Verlängerung der Gewährleistungsfristen für langlebige Produkte wie Haushaltsgeräte soll Hersteller:innen motivieren, ihre Produkte haltbarer zu produzieren. Die Europäische Union hat in den letzten Jahren im Rahmen des Green Deals schon wichtige Weichenstellungen vorgenommen, die nun konsequent weitergeführt werden müssen.

Mehr Fairness in der digitalen Welt

In der digitalen Welt sind alle Menschen verletzlich. Denn alle sind irreführenden und manipulativen Online-Designs ausgesetzt, intransparenten Algorithmen – und was mit unseren Daten passiert, bleibt ebenso im Dunkeln. Es braucht eine umfassende digitale Fairness-Initiative für ein sicheres Internet. Auch die Marktmacht einzelner großer Player ist aus Verbraucher:innensicht problematisch. Die rasante Entwicklung im Bereich künstlicher Intelligenz bringt Chancen, aber auch viele Gefahren, etwa Missinformation, Manipulation, Diskriminierung oder Betrug. Mit der Künstliche-Intelligenz-Verordnung wurde ein erster Schritt gemacht, aber es braucht noch weitergehende Reglungen – so fehlt immer noch ein KI-Haftungsregime. Verbraucher:innen brauchen offline wie online faire Spielregeln. Onlineshops und -marktplätze müssen etwa für Bewertungen geradestehen und ihre Preispolitik transparenter darlegen. Völlig individualisierte Preise sollten verboten werden. Gegen „Dark Patterns“, also irreführende Designgestaltung, sollten die bestehenden Regeln nachgeschärft werden. Speziell für junge Menschen sind Produktempfehlungen durch Influencer sehr wichtig. Daher gehört Influencer-Werbung strenger geregelt. Auch der Schutz von Kindern vor schädlichen Inhalten im Internet muss EU-weit verbessert werden. Sensibel sind auch Kreditwürdigkeitsprüfungen, also Scoring. Ein schlechter Score bedeutet z. B. höhere Kreditzinsen oder die Verweigerung eines Vertrages, etwa für ein Handy. Daher sollte dieses auf Geschäftsfälle mit relevanten Ausfallsrisiken (Kredite, Ratenzahlung) beschränkt werden und bei geringfügigen Alltagsgeschäften unzulässig sein. Internetnutzer:innen dürfen nicht zum gläsernen Menschen werden und müssen über ihre persönlichen Daten souverän verfügen können. Zum einen ist die Datenschutz-Grundverordnung dahingehend zu evaluieren und nachzubessern, andererseits hat die Praxis gezeigt, dass die Durchsetzung von Datenschutz vor allem bei grenzüberschreitenden Fällen nicht funktioniert. Hier muss die EU nachschärfen und eine rasche und effektive Rechtsdurchsetzung gewährleisten. Cyber-Kriminalität ist im Steigen und führt vor allem bei Onlinebanking-Betrug zu hohen Schäden. Einerseits braucht es mehr Zusammenarbeit und Ressourcen im Kampf gegen Cyber-Kriminelle und andererseits ein strengeres Haftungsregime für Banken.

Kampf gegen Teuerung

Durch die Teuerung kommen immer mehr Menschen in finanzielle Bedrängnis. Auch auf europäischer Ebene sind Anstrengungen nötig, damit das Leben für alle leistbar ist; dies betrifft vor allem Energie und Lebensmittel. Ob durch Monitoring oder Maßnahmen – hohe Preise und die Unterstützung betroffener Haushalte muss ein wichtiges Thema für die europäischen Institutionen sein.

Fazit: Nur mit einem starken EU-Parlament ist ein fortschrittlicher Verbraucher:innenschutz möglich

Viele der Erfolge in der Verbraucher:innenpolitik waren in den letzten fünf Jahren nur mit einem progressiv ausgerichteten Europäischen Parlament möglich. Um diesen Weg fortsetzen zu können, ist das Wahrnehmen des Stimmrechts der Wähler:innen bei den EU-Wahlen am 9. Juni 2024 ein ganz wesentlicher Faktor.

Grafik: Stimme für Demokratie © A&W Blog

Dieser Beitrag wurde am 10.05.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Christian Lue auf Unsplash

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