Was kann die ‚Große Transformation‘ zum Frieden beitragen?
„Ohne nachhaltige Entwicklung kein Frieden, ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung!“ Als Mitglied in der Koordinationsgruppe von AbFaNG (Aktionsbündnis für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit) wurde ich gebeten am Volksstimmefest-Friedensfrühstück teilzunehmen und ein paar Worte zum Thema Transformation zu sagen. Transformation ist ein „unliebsamer und konfliktreicher, individueller und gesellschaftlicher Lernprozess“, aber woher stammt der Begriff eigentlich?
Ein Gastbeitrag von Ilse Kleinschuster
„The Great Transformation“, das Werk des österreichisch-ungarischen Wirtschaftssoziologen Karl Polanyi, das 1944 in New York erschienen ist und das den tiefgreifenden Wandel der westlichen Gesellschaftsordnung im 19. und 20. Jahrhundert beschreibt, gehörte zunächst zu den Schlüsseltexten der schrumpfenden antikapitalistischen Linken in den Vereinigten Staaten und blieb in Europa weitgehend unbekannt. Das änderte sich in den 1980er Jahren mit der Auflösung nationaler Volkswirtschaften und dem Beginn der Globalisierung und deren Ähnlichkeit mit der Entwicklung im 19. Jahrhundert. Seither wird Polanyis ethisch-fundiertes Gedankengut für die politische Argumentation gegen den Neoliberalismus und auch als Vorläufer einer neuen Wirtschaftssoziologie verwendet. Man könnte „The Great Transformation“ auch als Richtschnur für eine Entwicklung sehen, wie sie zurzeit in den USA, Deutschland, Italien, der Türkei und Russland stattfindet. Es gibt Anzeichen, dass das „polanyisische Pendel“ der Doppelbewegung, soweit es um den Schutz vor den Folgen des freien Marktes geht, in zwei Richtungen ausschlagen kann: nach links in Richtung demokratischen Sozialismus und nach rechts in Richtung Faschismus. Spätestens seit 2016, tatsächlich aber bereits seit den 1990er Jahren ist klar, wohin sich das Pendel aktuell bewegt. Trump, Populismus, Luxus- und Konsumwahn, Ressourcenverschwendung – die Große Transformation befindet sich in der Krise.
Somit ist klar, wir stehen vor der dringenden Frage, ob der Umbau zu einer sozial-ökologisch gerechten Welt noch gelingen kann, wo wir es jetzt darüber hinaus auch noch mit den „planetaren Grenzen“ zu tun haben.
Ja, sagen viele Klimaforscher, nicht nur die vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, wo der Ökonom und Politiker Uwe Schneidewind von „Zukunftskunst“ spricht: „Damit ist die Fähigkeit gemeint, kulturellen Wandel, kluge Politik, neues Wirtschaften und innovative Technologien miteinander zu verbinden. So werden Energie- und Mobilitätswende, die Ernährungswende oder der nachhaltige Wandel in unseren Städten möglich.“
Aufgeklärte Wirtschaftsforscher setzen auf Systeminnovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette nach sozialen und ökologischen Maßgaben. Dafür aber ist Kooperation über nationale Grenzen und akademische Disziplinen hinweg zentral. Sie finden, dass es Aufgabe der Politik sei, diesbezüglich verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, und zwar für alle Bereiche, wo es um den umfassenden Begriff von Nachhaltigkeit geht. Dieser Begriff umfasst ökologische, soziale und ökonomische Dimensionen und sollte nicht im Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit stehen (siehe dazu: Kate Raworth – die Donut-Ökonomie, 2018)
Der Wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Veränderungen (WBGU) griff Polanyis Begriff der Großen Transformation in seinem Jahresgutachten 2011 auf, in dem er einen Gesellschaftsvertrag für eine globale Große Transformation hin zu einer klimaverträglichen Gesellschaft forderte. Auch in Österreich gibt es – allerdings erst seit 2023 – den Forschungsrat für Wissenschaft, Innovation und Technologie (FORWIT) des BMBWF, der für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik in beratender Funktion zuständig ist.
Heute, in Zeiten einer zunehmenden Klima-/Umweltkrise mit dramatischen Auswirkungen und ihren Folgen (Migration) muss Transformation unbedingt noch einen zusätzlichen Fokus bekommen, nämlich in Richtung sozial-ökologische, friedliche Welt. Und dieser Wandel sollte möglichst bald und fair vor sich gehen, bevor noch diverse geopolitische Konfliktherde zu einem Flächenbrand führen. Auch sollte er möglichst nachkommende Generationen berücksichtigen. Das klingt nach Überforderung – intergenerationelle Verteilungsgerechtigkeit – und das global?!
Wenn nun Extremwetterereignisse wie ein Feuerwerk auf unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft einprasseln, werden wir irgendwann keine Zeit mehr haben, zwischen den Einschlägen ‚aufzuräumen‘. Vielleicht schaffen es viele kleine Katastrophen, ein gesellschaftspolitisches Klima zu schaffen, in dem internationale Verhandlungen von Furcht statt von Vorteilskalkülen gelenkt werden. Dann werden unser Rechtsstaat und unsere Demokratie immer stärker unter Druck geraten. Grüner Hoffnungsschimmer!
Daher, so meine ich im Einklang mit der Organisation der Vereinten Nationen (UNO), war es in Bezug auf das globale Ausmaß der Klimakrise wirklich wichtig, das Klimaabkommen von Paris im Dezember 2015 zu beschließen, das hat zunächst doch einen großen Durchbruch in der Klimapolitik markiert! Nicht nur sollte die globale Erderwärmung auf 1,5, maximal 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden, sondern auch die globalen Treibhausgasemissionen so bald wie möglich ihr Maximum erreichen und bis Mitte des 21. Jahrhunderts auf (netto) null gesenkt werden- Weiters sollten alle Staaten der Welt alle fünf Jahre nationale Beiträge zur Emissionsreduktion vorlegen und umsetzen müssen. Darüber hinaus wurde auch die Anpassung an unvermeidbare Folgen des Klimawandels – aber auch mögliche Maßnahmen zur Unterstützung der Entwicklungsländer (mittels Kapazitätsaufbau, Technologietransfer und Finanzierung) umfassend behandelt.
Dieses Pariser Klimaabkommen und seine 17 UN– Ziele für nachhaltige Entwicklung + vielen Unterzielen (Sustainable Development Goals, SDGs, erstellt auf Basis des IPCC-Berichts, 2016) haben immerhin sehr viele Regierungsvertretungen unterschrieben – im Einverständnis, dass Klimaschutz unverzichtbar ist und ein Weiter-wie-bisher die falsche Strategie wäre. Auch Österreich gehört zu diesem Global Compact Netzwerk. – Also müssen wir wohl weiter “kämpfen“!
Für Österreich bedeutet das eine Zielerhöhung bis zum Jahr 2030 auf minus 48 Prozent gegenüber dem Jahr 2005 in den Sektoren außerhalb des EU-Emissionshandels. Die österreichische Bundesregierung hat sich im Regierungsübereinkommen für die Jahre 2020 bis 2024 (freiwillig!) festgelegt, die Klimaneutralität bereits mit dem Jahr 2040 zu erreichen. Das heißt, die österreichweiten Emissionen von Treibhausgasen (THG) und deren Abbau durch Kohlenstoffsenken gemäß nationaler THG-Inventur sollen spätestens bis zum Jahr 2040 ausgeglichen sein. Dazu müssten in jedem Sektor weitreichende Maßnahmen gesetzt werden, welche die THG-Emissionen auf null oder quasi null reduzieren.
In letzter Zeit schwinden die Ambitionen, denn Kriege verdrängen die sozial–ökologischen Probleme von der politischen Agenda und verschärfen sie zugleich (Militär = Klimakiller Nr.1). Die Politik der Konfrontation, die Politik der militärischen Aufrüstung führt uns an den Abgrund. Sie kostet uns jene Ressourcen, die wir für ein klimagerechtes, nachhaltiges Wirtschaften brauchen.
Ist zu befürchten, dass das Gesamtkunstwerk, Die Große Transformation, gedacht als eine simultane Veränderung von Wirtschaftsstruktur, von Institutionen und von mentaler Infrastruktur nicht zu Ende gebracht werden kann? Ein wirklich kohärentes Programm und eine systematische Politik zeichnen sich (noch?) nicht deutlich ab.
Umso mehr gilt für uns, Frieden-, Klima- und Umweltbewegte, dass jetzt alles sinnvoll Machbare getan werden muss und der Druck von unten – mittels konkreter Aktionen – aufrechterhalten werden muss. Wozu sonst haben wir uns zivilgesellschaftlich organisiert, um die Transformation der Gesellschaft zu einem „Guten Leben für alle“ zu unterstützen und durch solidarische und kontinuierliche Friedensarbeit „uns“ (alle Menschen guten Willens) auf einem sicheren Weg in eine friedlichere Zukunft zu führen?
Ja, klimafreundliches Handeln kann idealerweise durch Politik und Wirtschaft erleichtert und beschleunigt werden, wenn entsprechend vernünftige Rahmenbedingungen vorliegen. Viel wurde schon erreicht, aber noch zu wenig – meist zu wenig verbindlich.
Ob der von der Wissenschaft schon lange vorhergesagte „planetare Notstand“ endlich an der Haltung vieler Regierungsverantwortlichen etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Scharfe Diskussionen über Maßnahmenbündel sind garantiert und Zwist in der kommenden Regierung programmiert. Aber, wenn selbst der Papst in seiner Enzyklika „Laudato Si“ den und die Einzelnen aufruft, zu handeln, weil auch er meint, die Politik und die Wirtschaft müssten zu den notwendigen Änderungen gedrängt werden, dann bedeutet das wohl, dass es nicht nur um die Reduktion des individuellen, ökologischen Fußabdrucks geht, sondern um den „Rucksack“ und darum muss sich die Politik stärker einbringen. Das heißt, dieses, innerhalb der UNO akkordierte Ziel, ein gutes Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen zu erreichen, sollte unser aller Anliegen sein. Dies ist eine ethische Forderung, der wir uns stellen müssen, wollen wir, dass die Schere zwischen Arm und Reich – bei Menschen und Staaten – nicht immer weiter aufgeht. Die Lösung, wenn es um planetare Grenzen geht, ist nicht, einfach weniger zu machen, sondern sich weiterzuentwickeln, innovativ zu werden – mit dem Ziel eine solidarische und friedliche Besatzung auf dem Raumschiff ERDE zu schaffen.
Ermutigend ist, dass ja vieles was aus Klimaschutzgründen notwendig ist, auch zu besseren Lebensbedingungen führen kann, z.B. bei der Ernährung, der Gesundheit, der Mobilität. Klimaschutz betreiben wir also nicht nur aus Verantwortungsgefühl unseren Enkelkindern gegenüber, wir profitieren auch selbst davon. Transformation ist eben ein unliebsamer und konfliktreicher individueller und gesellschaftlicher Lernprozess. Aber er muss solange fortgeführt werden, bis eine Art von Wachstumsunabhängigkeit erreicht ist und bis es gelingt, unsere gesellschaftlichen Probleme mit einem Wachstum in die Diversität zu lösen. Ich glaube, das wäre dann ein Wachstum, das sich sowohl auf Wohlstand, als auch auf Lebensqualität und ein friedliches Miteinander bezieht und durch das unsere Demokratie zukunftsfähiger werden könnte.
Gerne möchte ich hier auf den neuen Verein „Wachstum im Wandel Österreich“ aufmerksam machen. Er basiert auf der ursprünglichen „Initiative Wachstum im Wandel“ (gegründet auf Initiative des Umweltministeriums 2008 – zahlreiche Institutionen, NGOs, Einzelpersonen und Unternehmen waren daran beteiligt). Auch künftig soll mithilfe dieses Vereins der offene Diskurs zu Zukunftsfragen verstärkt im Zentrum stehen: Welches Wachstum ist nachhaltig? Wie lässt sich die Brücke schlagen zwischen Wirtschaft, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit? Aber auch: Was soll wachsen und was nicht?
Im BMK fand am 13. September 2024 die Just Transition Konferenz statt, bei der auch „Wachstum im Wandel Österreich“ vertreten war. Nähere Informationen und die Möglichkeit zur Stellungnahme auf der Veranstaltungsseite.
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Titelbild: Engin Akyurt / Pixabay
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