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#TTIPleaks – Geheime Dokumente zu TTIP-Verhandlungen veröffentlicht

pk_ttip_leaksGreenpeace wurden Verhandlungstexte zugespielt. Keine Annäherung der Verhandlungspositionen zwischen USA und Europa. Die Umweltorganisation hält das Freihandelsabkommen für gescheitert.

Michael Diesenreither berichtet von der re:publica in Berlin

Heute Montag, 11 Uhr, hat Greenpeace Niederlande unter www.ttip-leaks.org 248 Seiten geheime Verhandlungsdokumente über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU veröffentlicht. Die 13 Kapitel umfassenden Dokumente wurden der Umweltschutzorganisation zugespielt. In einer Pressekonferenz auf der re:publica in Berlin wurde der Hintergrund von #TTIPleaks von Greenpeace-Experten vorgestellt. Die re:publica ist die größte Konferenz Europas für Internet und Gesellschaft, dementsprechend groß war der mediale Andrang bei der Pressekonferenz.

„Demokratie braucht Transparenz!“

Bei den veröffentlichten Dokumenten handelt es sich nicht um Originaldokumente, sondern um Abschriften. Allerdings kann die Echtheit der Dokumente bestätigt werden, so Stefan Krug, Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace Deutschland. Ein Netzwerk aus Journalisten von NDR, WDR und anderen deutschen Medien habe die Echtheit nach Rücksprache mit an den TTIP-Verhandlungen beteiligten Personen sicherstellen können. Über die Motive des Informanten, die Dokumente an Greenpeace weitergegeben zu haben, gaben die Greenpeace-Vertreter keine Auskünfte, um die Quelle zu schützen. Juristische Konsequenzen wegen der Veröffentlichung der Geheimpapiere befürchten sie nicht, sie sehen dem gelassen entgegen. Das wichtigste sei zunächst mal, die Öffentlichkeit über den Stand der Verhandlungen von TTIP zu informieren. Für Greenpeace-Pressesprecher Volker Gaßner ist es ein unhaltbarer Zustand, dass bisher kaum jemand Einsicht in die Verhandlungen hat. Die Debatte über die Inhalte müsse öffentlich geführt werden, deshalb habe sich Greenpeace für die Veröffentlichung der Dokumente entschieden.

Bisher durften sich die an den geheimen Verhandlungen beteiligten Personen keine Notizen machen und nicht öffentlich darüber sprechen. Parallel zur Webseite ttip-leaks.org hat Greenpeace heute vor dem Berliner Reichstag einen Container eingerichtet, um auch bei den Politikern entsprechende Aufmerksamkeit zu erlangen.

Ist TTIP noch zu retten?

Auf die Frage, ob TTIP noch zu retten sei, gab es ein klares „Nein!“. Für Stefan Krug sei das „Kind in den Brunnen gefallen“, die Debatte über TTIP müsse sich verändern. Auch würden die nun veröffentlichten Dokumente keineswegs die von Merkel und Obama inszenierte Einigkeit bei den TTIP-Verhandlungen wiedergeben. Wir werden ständig nur belogen, so Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. „Was bislang aus diesen Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit drang, klang wie ein Albtraum. Jetzt wissen wir, daraus könnte sehr bald Realität werden“. Die Befürchtungen haben sich für Greenpeace nicht nur bestätigt, sondern sogar noch verstärkt.

Was aber ist denn nun genau der Albtraum an TTIP? Es geht dabei nicht um einzelne Detailverhandlungen, Begriffe wie Chlorhuhn oder Genetik kommen gar nicht vor. Es geht darum, dass sich die Verhandlungspositionen zwischen USA und Europa grundlegend unterscheiden. Die USA fordern einen wissenschaftlichen Ansatz, das heißt nur wenn auch tatsächlich „bis drei Stellen hinter dem Komma“ wissenschaftlich bewiesen werden kann, dass von einem Produkt eine Gefahr ausgeht, hat dies auch Gültigkeit. Das bislang in Europa geltende Vorsorgeprinzip, das Produkte nur dann erlaubt sind, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind, soll durch das in den USA angewandte Risikoprinzip ersetzt werden. Aus einer vorsorgenden soll eine nachsorgende Vorgehensweise werden. Allerdings, wie sollen gerade bei vielen Fragestellungen aus der Agrar-Industrie z.B. beim Einsatz von Gentechnik solche Beweise erbracht werden? Langzeitstudien können hier noch nicht vorliegen.

„Wir geben etwas auf, was sogar in unserer Verfassung steht“, kritisiert der Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. TTIP würde dem Lissaboner Vertrag widersprechen. Greenpeace sei zwar nicht per se gegen Handelsabkommen, vermisse bei TTIP aber zahlreiche Standards und Transparenz. Es geht darum, in die Verhandlungen eingebunden zu sein. Das Parlament dürfe nicht nur am Ende „ja“ oder „nein“ sagen. Außerdem müsse TTIP allen auf der Welt Gerechtigkeit bringen, „nicht nur Europäern und Amerikanern“, so Knirsch.

„Kuhhandel“: Autoindustrie vs. Landwirtschaft

Das große Druckmittel der US-Amerikaner ist es, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren. Zugeständnisse machen die USA-Verhandler nur dann, wenn im Gegenzug Europa in der der Agrarwirtschaft seine strengen geltenden Bestimmungen lockert. „Modern Agriculture and Technology“ nennt sich dieses Kapitel in den TTIP-Verhandlungen. Salopp formuliert handelt es sich hier um einen „Kuhhandel“.
Die nun veröffentlichten Dokumente zeigen außerdem, dass die USA weiterhin auf den umstrittenen privaten Schiedsgerichten für Konzerne beharren. Staaten können dann vor den Schiedsgerichten von Konzernen verklagt werden, dies sei laut Greenpeace aber bisher schon über die jeweiligen nationalen Gerichte möglich, und daher gar nicht notwendig.

Das in Paris beschlossene Umweltabkommen findet sich in TTIP nicht wieder. In den veröffentlichten Verhandlungsdokumenten finden sich keine Hinweise auf die festgelegten Umweltstandards und Selbstverpflichtungen der an der Pariser Umweltkonferenz teilgenommenen Staaten. „Wenn TTIP kommt, leben wir bald in einer anderen Welt“, sind sich die Greenpeace-Vertreter einig. Es habe große Auswirkungen auf den Konsumentenschutz, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz, aber auch das kulturelle Verständnis Europas. Bisher in Europa jahrzehntelang durchgesetzte Standards würden nicht mehr gelten, wenn sich die US-Amerikaner mit ihren Forderungen in den TTIP-Verhandlungen durchsetzen können.

Das Video zur Pressekonferenz:

Foto: Michael Diesenreither (Unsere Zeitung); Titelbild: In der Nacht haben Greenpeace-Aktivisten die Dokumente auf den Reichstag projiziert (© Daniel Müller / Greenpeace Deutschland

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