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Cartoon, Clausewitz und Chloroformspritzdüse

Mit Meisterdetektiv Nick Knatterton und Walt Disneys Hexe Gundel Gaukeley durch die Welt der Kriege, Kämpfe und Konflikte

Von Thomas Roithner

Thomas Roithner
Thomas Roithner: Kolumnist für „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE.“ (Foto: privat)

Darf ich vorstellen? Meisterdetektiv Nick Knatterton. Kombiniere: Als Anhänger der „humanen Gewaltanwendung“ analysiere ich, wie sich das Bekriegen entwickelt hat. Bevor wir die Geschichte in paar Dekaden rauf- und runterwandern, möchte ich Ihnen meine Partnerin für diese Geschichte vorstellen: Gundel Gaukeley, Hexe von Beruf und Erfinderin der Blitzbuffbombe.

Geboren wurde ich, Knatterton, in der Illustrierten „Quick“. Im Jahr 1950 als überzeugter Pazifist – genau in jener Zeit, als der Korea-Krieg begann. Wenige Monate zuvor fand der erste sowjetische Atombombentest statt. Die Forschung zählte 1950 weltweit etwa 20 Kriege, etwas weniger gewaltsame Krisen und rund 110 Dispute mit geringer Gewaltintensität. Zwischenstaatliche Kriege waren in Relation häufiger als heute.

Dass Karikaturen, Cartoons und auch Comics Ausdruck von Meinungs- und Pressefreiheit sind, gehört spätestens seit den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ zum politischen ABC. Natürlich sind sie Unterhaltung, aber auch Kritik und ein Katalysator zur Meinungsbildung. Die Tabus und Grenzen „lustvoll auszutesten“ ist für den Linzer Karikaturisten Gerhard Haderer Teil seines Selbstverständnisses.

Pazifistischer Kinnhaken

Als allgemein bekannt gilt die 1832 veröffentlichte Erkenntnis des Militärtheoretikers Carl von Clausewitz, dass der Krieg ein Chamäleon sei „weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas verändert“. Die Zeichenkunst hält Schritt. Nick Knatterton verfeinert seine Kinnhakenmethoden. Die Spezialitäten sind der Vierfach-KO und der Maulesel-KO.

Überzeugter Pazifismus und der gleichzeitige Eingriff in die körperliche Unversehrtheit werden in Knattertons Welt mit einem Lächeln und Augenzwinkern goutiert. Die Europäische Union nimmt seit den Maastricher Verträgen Maß. Der Friedensnobelpreis und das proklamierte Friedensprojekt sind scheinbar beliebig mit militärischen Auslandseinsätzen samt Kampfeinsätzen kombinierbar. Auch völkerrechtswidrige Einsätze der EU-„battle groups“ stehen als Möglichkeit im Raum. Zur Stunde hat die EU Soldat*innen in Zentralafrika, Mali oder Bosnien-Herzegowina sowie im Mittelmeer (Operation Irini) und für die vorgebliche Piratenjagd vor der Küste Somalias (Operation Atalanta). Im Namen der Humanität. Die gelassenen Federn sind stets die fremden …

Unschuldige Tote nach so genannten „chirurgischen Eingriffen“ nennen sich heute Kollateralschaden. Bei Militärinterventionen und Kriegen westlicher Staaten ist das Vokabel „Krieg“ gänzlich aus der Mode gekommen. Die Vierte Gewalt – die Medien – spielt viel zu oft brav mit. Es wird nicht Krieg geführt, sondern „Krisenmanagement“ betrieben, „Stabilisierungseinsätze“ lanciert, „Operationen“ durchgeführt, „peace“ wird „enforced“, es wird „humanitär interveniert“, man nimmt eine „Schutzverantwortung“ wahr. Wie bei Knatterton, Gaukeley & Co. wird die eigene Gewalt als notwendig bagatellisiert. Entweder Draufhauen und Zuschauen – der schraffierte Bereich dazwischen verschwindet.

Blitzbuffbomben

1961 feierte die im Duck’schen Geldspeicher freundlich vorstellig werdende Hexe Gundel Gaukeley ihre Premiere in Entenhausen. Sie lobt Donalds klassische Bildung und wenig später machen Onkel Dagobert und Donald Bekanntschaft mit Gundels Blitzbuffbomben. Diese Bombastik-Buff-Bomben stellen wohl eine Mischung aus Blendwaffe und Chemiewaffe dar. Während die Haager Landkriegsordnung dauerhaft schädigende Blendwaffen ächtete, wurden diese 1995 durch ein Protokoll der Vereinten Nationen verboten. 2006 wurde bekannt, dass die US-Militärführung nicht dauerhaft wirkende Laser-Dazzler an die im Irak operierenden Verbände ausgab. Die Gaukeley’schen Blitzbuffbomben machen aber nur kurz schwindelig und die Jagd nach dem Glückzehner geht ohne weitere Handgreiflichkeit unbeschadet weiter.

Doch zurück zu Gundel zum Beginn der 1960er-Jahre. Von da an entwickelte sich die Anzahl der Kriege und gewaltsamen Krisen bis zu den frühen 1990er-Jahren stetig aufwärts. Durchschnittlich um einen Krieg pro Jahr. 1992 zählte die Konfliktforschung (nach AKUF) 55 Kriege und beinahe 200 Konflikte mit niedriger Intensität.

Heute zählen wir nach HIIK 358 Konflikte, von denen 15 als Kriege und 23 als begrenzte Kriege klassifiziert werden. Schon in Zeiten als Blitzbuffbomben und der Maulesel-KO die Comic-Welt fesselten, fanden Kriege – und das ist bis heute so – fast überwiegend im globalen Süden statt.

Die Theorie des demokratischen Friedens besagt, dass sich Demokratien unter Artgenoss*innen friedlicher verhalten. Kaum jedoch gegenüber Nicht-Demokratien. Die USA, Großbritannien und Frankreich treten besonders hervor. Hegemonieansprüche und neokoloniale Politik spielen dabei eine zentrale Rolle. Nach Militärinterventionen der letzten Jahre können heute einige Beispiele „gescheiterter“ – oder zum Scheitern gebrachter – Staaten gezählt werden. Aus dem 2003 völkerrechtswidrig bombardierten Irak resultierte der sogenannte „Islamische Staat“, funktionierende staatliche und gesellschaftliche Strukturen sind in Libyen nicht in Sicht und knapp 20 Jahre nach 9/11 und dem „war against terror“ ist Afghanistan von Frieden weit entfernt.

Kriegsende

Während Nick Knatterton alle Fälle löst und die Grenzen zwischen Spitzbub und der guten Kinderstube zunehmend verwischt, jagt Gundel Gaukeley seit über einem halben Jahrhundert erfolglos hinter Onkel Dagoberts Glückszehner her. Seit 1945 hat die Wahrscheinlichkeit deutlich abgenommen, dass ein Staat aus einem Krieg als militärischer Sieger hervorgeht. Seit 1989 ist dies noch weniger wahrscheinlich als davor. Feststellbar ist auch, dass Vereinbarungen mit Vermittlung seit 1989 zur häufigsten Form der Kriegsbeendigung geworden sind – mit steigender Tendenz.

Blitzbuffbomben und das Chamäleon

Dass der Krieg ein Chamäleon ist, zeigt sich auch an den Waffensystemen. Wurde zu Gundel Gaukeleys Zeiten der Blitzbuffbomben Anfang der 1960er-Jahre vom Österreichischen Bundesheer die „Tonne“ (Saab J-29F zur Luftraumüberwachung) beschafft, so debattieren wir heute autonome Waffensysteme (AWS), die auch ohne menschliches Zutun ihre Ziele selbständig wählen und attackieren können. Wer betätigt die Stop-Taste, wenn es um eskalierende Cyberkriege, künstliche Intelligenz (AI) bei Waffen und stark verflochtene Waffensysteme geht? Lassen unbemannte Systeme Konflikte schneller eskalieren und wer kontrolliert Drohnenschwärme, für die niemand Verantwortung übernimmt? Auch Knatterton wurde in den 1950ern mit einem Vorläufer der heutigen Drohne ausgeschaltet: eine Superbiene mit Kleinbildkamera und Chloroformspritzdüse.

Neue Generationen von Atomwaffen, die Militarisierung des Weltraums, präzisionsgelenkte Munition, unbemannte Killerroboter oder aggressive Militärdoktrinen sind – absurd überhöht – auch Gegenstand von Karikaturen. Bei Nick Knatterton lässt der hinterlistige Überfall auf eine computergestützte Waffenproduktion niedliches Kinderspielzeug statt Ballermänner vom Fließband rollen.

Alle Waffen aus einer Hand?

Während Knatterton bei der Fusion der Waffenfirmen Baller und Bims Pate steht, durchlebten die transatlantischen Rüstungskonzerne mit Beginn der 1990er-Jahre massive Fusions- und Konzentrationsprozesse. „Alle Waffen aus einer Hand“, so Knattertons Schlussfolgerung. Rüstungsprogramme werden in der EU heute mitunter über den Rüstungsfonds finanziert, welcher sich im EU-Budget findet. Projekte wie die Eurodrohe oder der EU-Kampfhuberschrauber werden kerneuropäisch entwickelt und die Größten mit dem geschicktesten Lobbying profitieren am meisten. In der Corona-Pandemie ist die Impfung der Rüstungsbudgets vor Einsparungen schneller als die Pharmaindustrie mit dem Impfstoff.

Kriegsgeräten einen zivilen Anstrich zu geben, da kann Politik und Industrie von Michael Pammesberger noch lernen: legendär sind sein berüchtigtes Lawinen-Raketenabwehrsystem oder das bizarre Multifunktionsgerät „Eggwoolmilkpig OE2011“. Aus dem heutigen Zynismus der Karikatur ist viel für das morgige friedliche Zusammenleben zu lernen.

Hauptsache die Wirtschaft läuft

Auch die Panzerknacker in Entenhausen treten als Aktiengesellschaft auf. Knattertons Abspann wird mit des Sprechers Worten unterlegt: „Hauptsache die Wirtschaft läuft“. Der Anteil der EU-Staaten an den globalen Waffenexporten beträgt nach SIPRI 26 %, jener der USA 38 %, Russlands Anteil beläuft sich auf 21 % und der Anteil Chinas liegt bei 5,5 %. „Gute Komik“, so Gerhard Haderer, „ist an der Grenze zur Tragödie angesiedelt.“

Die langen Schaffensperioden von Zeichnern wie Manfred Deix, Gerhard Haderer, Erich Sokol, Dieter Zehetmayr oder Ironimus reflektieren in ihren Büchern nicht nur die Gesellschaft. Ein frühes Deix- oder Haderer-Buch ist heute ein Stück Zeitgeschichte und, ja, ein Stück Friedensgeschichtsschreibung. Kombiniere: Damit gehört es auch in jede Schulbibliothek.


Dieser Beitrag ist eine veränderte und aktualisierte Fassung aus Die Furche.

Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund. Sein jüngstes Buch „Flinte, Faust und Friedensmacht. Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik Österreichs und der EU“ erschien bei myMorawa. Web: www.thomasroithner.at

Titelbild: AnnaliseArt auf Pixabay

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