80 Jahre Befreiung – Nie wieder!?
Was war 1933— 1945? Was ist geblieben – nach 1945? Was wird werden?
Von Harry Friebel
Schwur der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald am 19.4. 1945
WIR WERDEN DEN KAMPF ERST AUFGEBEN, WENN DER LETZTE SCHULDIGE VOM GERICHT ALLER NATIONEN VERURTEILT IST. DIE ENDGÜLTIGE ZERSCHMETTERUNG DES NAZISMUS IST UNSERE LOSUNG. DER AUFBAU EINER NEUEN WELT DES FRIEDENS UND DER FREIHEIT IST UNSER IDEAL.
Wie Millionen Ex-Nazis ihren Ruhestand in der Bundesrepublik Deutschland mit einer respektablen Staats-Rente genießen konnten… Wie dabei der Holocaust in aller Öffentlichkeit mit „Wiedergutmachung“ umgeschrieben wurde…
Wie die Opfer der Nazis kein Gehör fanden… Wie die Opfer der Nazis und ihre Angehörigen und ihre Nachkommen überhaupt erst mehr als 20 Jahre nach dem Genozid öffentlich registriert wurden.
Aus dem Tagebuch (1943) der Widerstandskämpferin Chasia Bornstein- Bielika, als sie sich von ihren Eltern – für immer – verabschiedete:
Ich sagte zu meinen Eltern: „Ich gehe nach Bialystok. Ich muss etwas dorthin bringen. Ich habe nicht gesagt, was, ich wollte nicht, dass sie Angst bekommen. Meine Mutter fängt an zu weinen. „Du lässt uns allein. Und was wird mit dir sein? Man wird dich auf dem Bahnhof erwischen. Und was werden wir ohne dich machen?“ Ich habe gesagt, „Ich komme zurück“. So hatten wir es ja beschlossen. „Nein, es wird dir etwas zustoßen. Und wir werden allein bleiben“. Und ich sage „Mama, ich muss gehen“- „aber man wird dich erschießen“. Sage ich „Mama, wir sind alle schon tot. Man wird uns alle töten“. Vielleicht hätte ich das besser nicht gesagt. Das war dumm von mir. Ich habe gesehen, mein Vater ist still geblieben, er hat kein Wort gesagt. Ich habe ihn sehr lieb gehabt und geschätzt. Ich sagte „Papa, warum sagst du nichts zu mir?“ Daraufhin sagt er: „Tote sprechen nicht“. Das waren seine letzten Worte zu mir. Ich habe ihm einen Kuss gegeben, er hat mich noch umarmt und an sich gedrückt.
Es wurde mehr als 20 Jahre lang konsequent verleugnet, verdrängt, beschwiegen; z.B. mit einem politischen Federstrich „Widergutmachung“ (Luxemburger Abkommen) 1951 durch Kanzler Konrad Adenauer. Der erste Bundespräsident der BRD, Theodor Heuss, hatte bereits 1949 in diesem Deutungspfad vorgelegt. In seiner Wiesbadener Rede fragte er rhetorisch „… sind wir, bin ich, bist du schuld…?“. Und er antwortete sich – und allen anderen Deutschen – mit “Nein” und weiter „Aber etwas wie Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben“. Heuss mochte sich dabei seiner persönlichen politischen Vergangenheit nicht erinnern (beispielsweise . stimmte er als Abgeordneter der Deutschen Staatspartei am 23. März 1933 dem nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetz zu).
Adenauer folgte Heuss: Er trat an, die Holocaust-Schuld mit einer fiskalischen Entschuldigung auszulöschen: Im September 1952 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der israelische Außenminister Moshe Scharett das „Luxemburger Abkommen„. Die Bundesrepublik sicherte damit Israel zu, innerhalb von 12 bis 14 Jahren eine Entschädigung von mehr als drei Milliarden D-Mark zu zahlen – oder in Waren zu liefern. Es wurden tonnenweise Waren geliefert – vom sich entfaltenden Wirtschaftswunderland BRD an Israel.
Die Millionen Nazi-Täter kamen derweil in den Genuss der Amnestie – höchst politisch wurde in der BRD die Amnesie kultiviert.
Wenn heute (2025) der Deutsche Bundestag in seiner 21. Legislatur nahezu ein Viertel Mitglieder faschistoide Abgeordnete sein Eigen nennt,
- dann hat das auch damit zu tun, dass – wie die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich in den 60er Jahren diagnostizierten – die Deutschen unfähig waren, zu trauern – zu trauern über die Ermordung ihrer Nachbarn…
- dann hat das auch damit zu tun, dass z.B. der 1. Hamburger Bürgermeister Max Brauer angesichts der riesigen Wiederaufbauherausforderungen nach 1945 halb lakonisch, halb resignierend sagte: „Es gab im NS-Staat 95 % Nazis, 5% Nicht-Nazis: Mit 5 % ist kein Staat zu machen“. Also ließ er die Nazis mit anpacken…
- dann hat das auch damit zu tun, dass der Nazi Hans Globke (der z.B. die Nürnberger Rassengesetze während der NS- Diktatur verherrlicht hatte) nach 1945 Adenauers Staatssekretär wurde…
- dann hat das auch damit zu tun, dass der Chef der Deutschen Bank im NS-Staat Hermann Josef Abs (er hatte z. B. auf NS-Weisung Zahngold der ermordeten Auschwitz-Häftlinge an die Schweiz verkauft) nach 1945 wieder Chef der Deutschen Bank wurde – und Finanzberater Adenauers…
- dann hat das auch damit zu tun, dass der reichste Mann im NS- Staat Friedrich Flick (wegen der lukrativen NS-Waffenaufträge) auch wieder in der BRD der reichste Mann wurde. Die nach ihm in der BRD genannte Flick-Affaire zeigte im juristischen Prozess gegen ihn auf, dass und wie der reichste Mann die hohe und höchste Politik mit versteckten Spenden „schmierte“. 1963 wurde ihm das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen…
Der erste Bundeskanzler Adenauer war nicht das eigentliche Problem; er war kein Ex-Nazi. Ein wesentliches Problem war, dass die 95 % Nazis ihre respektablen Renten bekamen und wieder mit anpackten.
Ein ehemaliger Vorsitzender, der in der AfD versammelten, faschistoiden Mitglieder im 21. Deutschen Bundestag hatte diese ganze Nazi-Geschichte als „Vogelschiss der deutschen Geschichte“ benannt. Warum laufen keine Razzien gegen diese faschistoiden Demokratiegegner? Warum bekommen die Millionen Angehörigen, die Millionen Nachkommen der Millionen NS-Opfer auch 80 Jahre nach der Befreiung – nach dem Genozid – noch immer keine hinreichenden deutschen Leistungen zur Linderung ihrer Lebensleiden?
Wenn Deutsche immer noch nicht fähig sind, zu trauern über ihre ermordeten Nachbarn, dann laufen sie Gefahr, dass der Spruch der überlebenden NS-Häftlinge „Nie wieder Faschismus“ zum Ritualspruch einfriert.
Wir können das nur abwenden, wenn Demokratie nicht als in Stein gemeißelte „FDGO“ (freiheitliche demokratische Grundordnung) gilt, wenn Demokratie als kollektiver Lern-, Interaktions- und Handlungsauftrag für Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte ernst genommen wird. Alles andere ist kollektive Selbstentmachtung zugunsten antidemokratischer, autoritärer Machtstrukturen und -verhältnisse. Das Narrativ „Brandmauer“ ist Quatsch.
Es brennt in der Mitte Deutschlands!
Die öffentliche NS-Erinnerungskultur nach 1945 wurde ein mühsamer Prozess. 1952 legte Luise Olbricht, Witwe des am 20. Juli 1944 erschossenen Generals Friedrich Olbricht, den Grundstein für das Ehrenmal zur Erinnerung an die Opfer des Umsturzversuches in Deutschland. Es ist bezeichnend, dass die Initiative dafür von den Hinterbliebenen und nicht von staatlicher Seite kam. Seither finden jährlich am 20. Juli dort Gedenkfeiern statt; erst in den 1980er-Jahren jedoch sollte der 20. Juli als Umsturzversuch gegen das NS-Regime zu einem Gedenktag für die gesamte Breite und Vielfalt der Regimegegnerschaft werden.
Aber der „neue“ deutsch-nationalistische rechtsterroristische Mordmob nach 1945 war/ist in Teilen immer auch der „alte“. So z.B. die Rückkehr des „hässlichen“ Deutschen Anfang der 90er Jahre – also im Pfad der deutschen Wiedervereinigung: Mehrere tausend Angriffe auf Geflüchtete, Zugewanderte und Juden/Jüdinnen. Terror in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen – 26 Morde und fast zweitausend Verletzte!
Die Kanzler Kohl-Regierung war damals am Zug. Sie hatte keine Antworten. Sie war bemüht, den Terror als Bedrohung ihres eigenen (in der Welt verbreiteten) Deutschland-Bildes mit „süßer Sahne“ zu löschen. Es begab sich zu dieser Zeit, dass die Regierung in den USA ein repräsentatives Holocaust-Museum (USHMM) plante; eines, das nur Juden als Opfer, nur Amerikaner und ihre Alliierten als Befreier und Deutsche allein als Täter darstellen würde. Kanzler Kohl sah da aber eine Gelegenheit für die Präsentation des „guten“ Deutschen nach 1945 in den Räumen des geplanten USHMM. Es folgte eine einzigartige Posse der Bonner Republik: Ein verzweigtes Netz von zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Repräsentanten der Bundesregierung mühte sich mit vielfältigen Mitteln und Methoden, um Einfluss auf die Gestaltung der Gedenkstätte in Washington D.C. im Planungsprozess zu gewinnen. Aber alle diese Bemühungen scheiterten:
- Der Vorsitzende der USHMM- Kommission W. Löwenberg stellte klar: „I don´t make deals with germans“.
- Der Botschafter der BRD in den USA W. Calebow jammerte: „Das war´s. Kein Entgegenkommen, nicht einmal das kleinste Zeichen des Entgegenkommens“.
1993 wurde das USHMM mit dem Titel „Never Again“ feierlich in Anwesenheit des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter eröffnet – in Abwesenheit von Kanzler H. Kohl und Bundespräsident R. v. Weizsäcker. Einige Wochen zuvor kam es noch zu einem Skandal. Die Washington Post veröffentlichte eine Sensationsmeldung: „The German gouvernment offererd museum organizers ´millions of dollars´ to include an exhibit on postwar Germany. This offer was immediately rejected“.
Etwa ein Jahrzehnt später weitere rechtsnationalistische terroristische Morde im Pfad: Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war eine neonazistische terroristische Vereinigung in Deutschland, die zur Ermordung von Menschen mit Migrationshintergrund aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven gebildet wurde. Sie ermordeten zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin, verübten 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge – und 15 Raubüberfälle. Das NSU-Umfeld wird auf 100 bis 200 Personen geschätzt.
Und auch danach kein Ende: Das Center für Monitoring, Analyse & Strategie (CeMAS) erfasst in einem neuen Projekt „Rechtsterrorismus seit dem NSU“ und zeigt dabei, wie sich der Rechtsterrorismus weiterentwickelt hat. Der NSU und die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Jahre wie in Halle oder Hanau stünden exemplarisch für die gegenwärtige Entwicklung im deutschen Rechtsterrorismus, der seit 1945 immer wieder von strategischen Neuorientierungen und der Weiterentwicklung nationaler und internationaler Netzwerke geprägt sei, heißt es bei CeMAS über das Projekt.
1995 eröffnete in Hamburg die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht von 1941–1944“. Es folgte eine höchst emotionale und kontroverse Debatte über die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg. Sie zeigte, dass die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auch Ende der 1990er-Jahre ein andauernder Prozess war/ist (und bleiben muss). Das Narrativ von der „sauberen Wehrmacht“ wurde dekonstruiert.
Dann die AfD, die „braune Front“ im Kulturrausch: Die AfD bekennt sich (2025) zu ihrem traditionell-konservativen
Familienbild, das aus Vater (Mann!), Mutter (Frau!) und Kindern besteht. Die Partei sieht die Familie als Keimzelle der Gesellschaft, die einen zentralen Beitrag zur Stabilisierung der sozialen Sicherung leistet.
Als Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD, in einem öffentlichen Interview auf Ihre Lebenspartnerin angesprochen wurde – dabei besonders auf die dunkle Hautfarbe Ihrer Lebenspartnerin , antwortete sie, dass sie diese Hautfarbe nicht sehen würde und machte eine Liebeserklärung an ihre Frau, die im Publikum saß: „Sarah, ich liebe dich!“
Björn Höcke, AfD-Vorsitzender in Thüringen, der in Deutschland als Faschist genannt werden darf, , sieht diese Hautfarbe sehr genau und wartet noch den richtigen Zeitpunkt ab, wann er nach dem AfD-Vorsitz in Deutschland greift – und Weidel in die Reihe der bisher entmachteten AfD–Vorsitzenden Bernd Lucke (2013-2015), Frauke Petry (2015–2017) und Jörg Meuthen (2017– 2021) einreihen kann.
Berücksichtigen wir die Überlagerung der Vielzahl von gesellschaftlichen bzw. politischen Krisen der vergangenen etwa fünf Jahre (z.B. Corona, Klima, Inflation, Kriege), dann ist die Engführung der alltäglichen demokratischen Lebenswelt in Deutschland unbestreitbar. Es können deshalb wohl Veränderungen parteipolitischer Orientierungen im Zusammenhang mit den multiplen Krisenerfahrungen angenommen werden. Die Autor_innen der repräsentativen Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 schlussfolgern insofern: „Der AfD gelingt es seit Jahren, einen großen Teil der rechtsextrem Eingestellten zu mobilisieren. Auch 2024 ist der Anteil der manifest rechtsextrem Eingestellten unter ihren Anhängern am höchsten. Ausländerfeindlichkeit ist die am weitesten verbreitete Facette des Rechtsextremismus“. Ausländerfeindlichkeit wird von den Autor_innen der Studie als „Einstiegsdroge“ in den Rechtsextremismus bezeichnet.
Dreimal Fazit
Zum Ersten: Was wird werden?
Der Koalitionsvertrag vom April 2025 liest sich in großen Teilen wie ein UNIONS-SPD geführtes Geschäftsmodell – vom Oberbuchhalter Friedrich Merz vorgetragen.
Dieses Land soll wieder funktionieren. Wir wollen sehen, dass die Wirtschaft wieder läuft. Wir wollen sehen, dass wir das Migrationsproblem gelöst bekommen. Wir wollen den Staat umfassend modernisieren, digitalisieren. Wir sind jetzt in dieser neuen Koalition entschlossen, diese Chancen auch zu nutzen. Das wird ein Befreiungsschlag für unser Land und das wird nichts kosten, im Gegenteil, das wird uns etwas bringen und auf der Basis dieser Vorhaben werden wir dann auch weitere Reformen machen. (ZDF-Interview mit F. Merz 9. April 2025)
In Kapitel 4, in den Zeilen 3296 bis 3313, des Koalitionsvertrags steht schließlich auch etwas über „Demokratie“ – eingebettet zwischen den Absätzen „Pflege der Angehörigen“ und „Antidiskriminierungsstelle“:
Pflege von Angehörigen
Wir streben an, das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz zusammenzuführen, die Freistellungsansprüche flexibler zu machen und den Kreis der Angehörigen zu erweitern. Wir prüfen, wie perspektivisch ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann.Demokratiebildung und demokratische Teilhabe
Vor dem Hintergrund unserer Geschichte sind wir stolz auf die demokratischen Institutionen und Aushandlungsprozesse in unserem Land. Sie sind die Grundlage unseres Zusammenlebens und müssen von früher Kindheit an erlernt werden.
Mit Sorge sehen wir das Erstarken des Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Angriffe auf unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und auf das friedliche und respektvolle Miteinander. Wir sind überzeugt, dass wir verstärkt in die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie investieren müssen. Wir unterstreichen die Bedeutung gemeinnütziger Organisationen, engagierter Vereine und zivilgesellschaftlicher Akteure als zentrale Säule unserer Gesellschaft. Die Unterstützung von Projekten zur demokratischen Teilhabe durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ setzen wir fort. Wir werden eine unabhängige Überprüfung dieses Programms in Bezug auf Zielerreichung und Wirkung veranlassen. Auf Basis der Ergebnisse prüfen wir weitere Maßnahmen für rechtssichere, altersunabhängige Arbeit gegen Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wir stellen weiterhin die Verfassungstreue geförderter Projekte sicher.Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle wird fortgesetzt. Wir werden den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus aufbauend auf einer wissenschaftsbasierten Rassismus-Definition neu auflegen, um Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu bekämpfen.
Zum Zweiten: Was wird werden?
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zur AfD: CDU/CSU stimmt mit AfD: Der Tabubruch des Friedrich Merz (Kurier 29.1.2025)
CDU-Unionsfraktionsvize Jens Spahn über die AfD: „Da würde ich einfach uns empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den Verfahren und Abläufen, wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch. (Bild-Zeitung 12.4.2025)
Erinnerungspolitik am Beispiel Buchenwald
Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald ist schon länger von vielen Seiten ein Objekt geschichtsrevisionistischer Angriffe. Die AfD hat 2017 einen Eklat provoziert, als sie an einer Gedenkveranstaltung in Buchenwald teilnehmen wollte. Kurz zuvor hatte Björn Höcke in seiner „Dresdner Rede“ die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als „dämliche Bewältigungspolitik“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert. Die Gedenkstätte hatte Höcke daraufhin mitgeteilt, dass er bei der Kranzniederlegung zum 27. Januar nicht willkommen sei. Allerdings hat er trotzdem versucht, Zutritt zu erlangen und die Gedenkstätte hat ihm daraufhin Hausverbot erteilt. (Mitteldeutscher Rundfunk, 11.4. 2025)
Zum Dritten: Demokratie als Handlungsaufgabe
Mit unserer besonderen Fokussierung auf demokratiepolitische Orientierungen verbinden wir Fragen, inwieweit der alarmierende Stimmenzuwachs der AfD bzw. der „Rechtsruck“ in Deutschland für die Gesellschaft zu demokratiebewahrendem Handeln, Verhalten und Einstellungen Anlass geben wird. Demokratie nicht als Ideal einer in Stein gemeißelten symbolischen Ordnung. Demokratie ist aus unserer Sicht ein allgemeines gesellschaftliches Partizipations- und Handlungsmandat. Das Gegenteil dazu nennen wir Selbstentmachtung zugunsten antidemokratischer, autoritärer Machtstrukturen und -verhältnisse.
Zentral ist darüber hinaus auch, dass die Zivilgesellschaft auf die Straße geht, um demokratiepolitische Rechte in aller Öffentlichkeit einzufordern.
Drei mahnende Botschaften:
Erste mahnende Botschaft
Primo Levi, Auschwitz-Überlebender:
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“
Zweite mahnende Botschaft
Ivone Kirkpatrick, ehemaliger britischer Hoher Kommissar in der Bundesrepublik Deutschland und Unterstaatssekretär im britischen Außenministerium, 1953:
„Es wäre töricht, anzunehmen, dass der Nazismus unter keinen Umständen , und auch nicht in anderer Form, im modernen Deutschland wiedererstehen könnte“
Dritte mahnende Botschaft
Marian Turski, Auschwitz–Überlebender zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, Redeauszug:
Mein Freund Roman Kent, der mit mir im Ghetto in Lodz und später auch in Auschwitz inhaftiert war, hat den zehn Geboten ein Elftes hinzugefügt, dass die Erfahrung der Shoah, des Holocaust, der schrecklichen Epoche der Verachtung darstellt. Es lautet:
Du sollst nicht gleichgültig sein!
Das ist meine Botschaft an die, die nach mir kommen, an die jungen Menschen, an Sie alle:
Seid nicht gleichgültig, wenn rechtsextremer und antisemitischer Hass durch die Gesellschaft zieht, seid nicht gleichgültig, wenn Minderheiten diskriminiert werden, seid nicht gleichgültig, wenn großmäuliger Populismus die Welt für sich beschlagnahmen will, seid nicht gleichgültig bei Krieg und Gewalt. Seid dem Gebot treu, dem elften Gebot: Du sollst nicht gleichgültig sein!
(Marian Turski hatte diese Rede geschrieben. Wegen Krankheit konnte er sie nicht mehr vortragen. Seine Rede wurde am 23.1. 2025 auf der Gedenkveranstaltung des Internationalen Auschwitz Komitees zum 80. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz verlesen. Er starb nur wenige Wochen danach am 28.2.2025)
Dr. Harry Friebel ist Professor an der Uni Hamburg und forscht u.a. zum Umgang mit der NS- Geschichte.
Titelbild: Berlin Holocaust-Mahnmal in Mitte 1 / Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0
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