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Holzauge sei wachsam

Auch im höchsten Norden tobte der Zweite Weltkrieg. Die Schlacht zwischen der Deutschen Wehrmacht und den Alliierten um die grönländische Sabine-Insel war gleichwohl eher die Farce zur Tragödie des blutigen Ringens gegen die nationalsozialistischen Weltherrschaftspläne.

Von Andreas Pittler 

Im Sommer 1940 war das sogenannte Dritte Reich fraglos auf seinem Höhepunkt. Mit der Strategie des „Blitzkrieges“ hatten seine Truppen praktisch das ganze westliche Kontinentaleuropa unterworfen und bereiteten sich darauf vor, nun auch den Osten des Kontinents unter ihr Joch zu zwingen. Zu den erst kürzlich unterworfenen Staaten zählte auch Dänemark, das im Norden der Erdkugel über nennenswerte und strategisch bedeutsame Kolonien verfügte. Die Wichtigste davon war Grönland, die größte Insel der Welt, die schon damals für ihre enormen Bodenschätze bekannt war. 

Unmittelbar nach der Eroberung Dänemarks sahen sich die beiden auf Grönland als Landvögte eingesetzten dänischen Beamten einer brenzligen Situation gegenüber. Würden die Nazis nun auch nach Grönland greifen? Auf einen Verteidigungsfall war das Eiland nämlich in keiner Weise vorbereitet. Seine „Truppen“ bestanden aus einigen Patrouillen, die mit Schlitten, gezogen von Hunden, unterwegs waren, deren eigentliche Aufgabe eher die einer Polizeistreife waren. 

Angesichts der geänderten Situation wandten sich die beiden dänischen Beamten an die Alliierten, denen sie die strategische Wichtigkeit ihrer Insel klarzumachen versuchten. Die USA ließen sich diese Gelegenheit nicht entgehen und schlossen mit der Landvogtei einen „Beistandspakt“, der es ihnen erlaubte, auf Grönland „temporär“ militärische Stützpunkte zu errichten, die, nur so nebenbei bemerkt, bis zum heutigen Tag von der US-Army betrieben werden. Die nationalsozialistische Gegenpropaganda blieb erwartungsgemäß nicht aus. Die von Berlin eingesetzte Kollaborationsregierung protestierte scharf gegen die „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Dänemarks durch die USA“, und die Nazis selbst richteten den Grönländern aus, dass die Amerikaner, einmal auf ihrer Insel, nie wieder weichen und dabei nicht aufhören würden, die grönländische Bevölkerung (damals etwa 40.000 Menschen) auszubeuten und zu unterdrücken. 

Dessen ungeachtet entsandte die US-Army mehrere Schlachtschiffe, die „Northland“, die „North Star“ und, als Flaggschiff, die „USS Bear“, welche auf See die Errichtung von Militärstützpunkten durch die GIs absicherten. Die freilich machten sich nicht die Mühe, die grönländischen Ortsbezeichnungen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, sondern nannten jeden Stützpunkt „Bluie“, versehen jeweils mit einer Ordnungszahl. Insgesamt 14 solcher „Bluies“ wurden 1941 und 1942 errichtet und entsprechend bemannt. 

Unternehmen Holzauge

Nicht völlig zu Unrecht, wie sich zeigte. Die Deutschen starteten im Sommer 1942 das „Unternehmen Holzauge“, dessen Ziel es war, sich dauerhaft in Grönland festzusetzen, um dort einerseits eine Wetterstation zu betreiben und andererseits ein wachsames Auge auf die Aktivitäten der USA, die zwischenzeitlich auf Seiten der Alliierten in den Krieg eingetreten waren, in deren unmittelbarer Nähe zu haben. Und so fuhr am 22. August 1942 der Dampfer „Sachsen“ aus Tromsö aus und brachte drei Tage später die ganze von Deutschland eingesetzte „Armee“ auf der Sabine-Insel an Land: 17 Mann unter der Führung eines „Leutnants zur See“, ergänzt um zwei Meteorologen. 

Der Standort war dabei nicht ohne Zufall gewählt worden. In der Hansa-Bucht hatte schon im 19. Jahrhundert eine deutsche Polarexpedition überwintert und dabei ein Lager, das großsprecherisch „Germaniahafen“ getauft worden war, errichtet. Auf dessen Resten gedachten die 19 Nazis aufzubauen. Tatsächlich gelang es ihnen, zwei Hütten wieder bewohnbar zu machen, und bereits am 30. August sendeten die Deutschen Wetter- und andere Daten an die deutsche Leitstelle. 

Nach wenigen Tagen gab es einen ersten Verwundeten, als sich der Erste Offizier versehentlich selbst ins Bein schoss. Ein Menetekel für die gesamte Operation, wie sich zeigen sollte. Allzu bald setzte nämlich der arktische Winter ein, und die Deutschen waren weitaus mehr damit beschäftigt, ihr eigenes Überleben zu sichern, anstatt den Alliierten lästig zu fallen. 

Im März 1943 wurde die Station zufällig von einer grönländischen Schlittenpatrouille entdeckt, worauf der deutsche Kommandant einen Angriff auf die Grönländer befahl, um solcherart zu verhindern, dass diese ihre Entdeckung melden konnten. Sie verfolgten den grönländischen Trupp – insgesamt sieben Mann und stellten sie 95 Kilometer weiter südlich von Germaniahafen bei ihrem eigenen Stützpunkt. Die Deutschen nahmen diesen nach einem kurzen Gefecht ein, der Grönländer Eli Knudsen wurde dabei zum einzigen Todesopfer des Kriegs im hohen Norden. 

Ein weiterer Grönländer, Marius Jensen, war den Deutschen in die Hände geraten und somit zum Kriegsgefangenen geworden. Diesem gelang es, den deutschen Leutnant davon zu überzeugen, nur er könne ihn ins Hauptquartier der Grönländer führen, sodass dieser am 5. April 1943 mit seinem Gefangenen aufbrach, die Gegend selbst in Augenschein zu nehmen, um solcherart abschätzen zu können, ob seine Truppe auch das Hauptquartier einnehmen könnte. Jensen drehte während der Fahrt den Spieß um und nahm nun seinerseits den Leutnant gefangen, den er dann tatsächlich nach Ittoqqortoorniit brachte, wo sich der Rest der grönländischen „Streitkräfte“ befand. 

Die übrigen Deutschen warteten sechs Wochen vergeblich auf die Rückkehr ihres Kommandanten und bekamen dabei im wahrsten Sinn des Wortes kalte Füße. Am 25. Mai 1943 überflogen zwei US-amerikanische Kampfbomber das Areal der deutschen Station und warfen Bomben ab, die aber nur geringen Sachschaden anrichteten. Dennoch war für die Deutschen ab diesem Zeitpunkt klar, dass sie aufgeflogen waren. Offenkundig, so ihre Erkenntnis, war es den geflohenen Grönländern gelungen, den Amerikanern die Koordinaten von „Germaniahafen“ durchzugeben, weshalb der neue Befehlshaber der Deutschen eilig Tromsö kontaktierte, man möge sie umgehend zurück nach Norwegen bringen. Tatsächlich landete am 6. Juni 1943 eine Dornier-Transportmaschine in Germaniahafen. Die Deutschen zerstörten ihre Station selbst und flogen dann zurück, damit das Grönland-Abenteuer der Wehrmacht und die „Operation Holzauge“ höchst unspektakulär zu einem Ende bringend.

Der weitere Verlauf

Im September 1944 trafen US-amerikanische Schiffe auf einen deutschen Trawler, der vor Grönland schipperte, um der deutschen Marine Aufklärungsmaterial zu beschaffen. Der Trawler versuchte zu entkommen, wurde aber nach dreistündiger Verfolgungsjagd gestellt und versenkt, nachdem sich die 28-köpfige Besatzung zuvor den Amerikanern ergeben hatte. Wenig später brachten die Amerikaner ein weiteres deutsches Schiff in arktischen Gewässern auf, das so zur Kriegsbeute wurde und später für die US-Coast Guard Dienst tat.  

Am 5. Mai 1945 wurde Dänemark von den Nazis befreit. Die grönländische Landvogtei unterstellte sich umgehend der neuen, demokratischen Regierung Dänemarks, die ihrerseits den Vertrag mit den USA über die Errichtung von militärischen Stützpunkten auf Grönland ratifizierte, von denen bis heute die Thule-Airbase der wichtigste ist. 

80 Jahre später ist Grönland ein weitgehend autonomer Bestandteil des dänischen Königreichs mit einem eigenen Parlament und einer eigenen Regierung, die auch über eigene Streitkräfte verfügt. Richtig, die grönländischen Schlittenpatrouillen.

Titelbild: Bernd Hildebrandt/Pixabay

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