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Rechtsextremismus – eine Ungleichheitsideologie

von Max Aurel

Traiskirchen (5)70 Jahre nachdem rechtsextreme Ideologie zur größten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit geführt hat, scheint sie wieder schwer im kommen zu sein. Die Namen des rechten Aufstiegs sind mittlerweile weitgehend bekannt: Trump, Farage, Petry, Wilders, Hofer und Strache tauchen täglich in den Zeitungen und unseren Newsfeeds auf Facebook und Twitter auf. Viele Menschen rieben sich verwundert die Augen, als diese Gesichter reihenweise Wahlen gewannen. Andere wiederum hegen offen Sympathien für die Demagogen, erhoffen sich von ihnen einen Wandel der politischen Landschaft, manchmal eine Rückkehr zu „alter Stärke“. Dabei scheinen sie auszublenden, wie gefährlich rechtsextreme Ideologie wirklich ist.

Rechtsextremismus ungleich Faschismus

Um das gleich vorneweg zu nehmen: Rechtsextremismus ist nicht Faschismus. Die beiden Ideologien teilen sich viele Elemente, dürfen aber keinesfalls als Synonyme verwendet werden. Faschismus kennzeichnet sich vor allem durch folgende Elemente:

  • das Führerprinzip,
  • der Totalitätsanspruch,
  • die am Militär orientierte Parteiorganisation,
  • eine kulturstiftende, auf Mythen, Riten und Symbolen basierende, irrationale weltliche Ersatzreligion (Führerkult, Deutscher Mystizismus),
  • eine korporative, hierarchische Wirtschaftsorganisation,
  • sowie ein totalitäres, in Funktionshierarchien gegliedertes Gesamtmodell der Gesellschaft.

Das Ziel des Faschismus ist also die völlige Gleichschaltung der Gesellschaft. Alle sollen so denken, wie die politische Führung es haben will, es wird sehr viel wert gelegt auf Gehorsam, Autorität und Hierarchie.

Rechtsextremismus im Gegenzug ist eine „Ungleichwertigkeitsideologie“, die nicht unbedingt auf einem totalitärem Gesellschaftsbild, Mystizismus und Militarismus aufbaut. Aber oftmals gehen Rechtsextremismus und Faschismus Hand in Hand, wie man in der Definition der Universität Leipzig sehen wird. Wichtiger Bestandteil der NS-Ideologie war nicht nur der Antisemitismus und die Rassenlehre, sondern eben auch das Führerprinzip, der universelle, totalitäre Anspruch und die paramilitärische Parteiorganisation.

Die Universität Leipzig führt seit 2001 die sogenannten „Mitte Studien“ durch, in denen sie die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland erforscht. Die Forscher haben 6 spezifische Merkmale des Rechtsextremismus ausgemacht:

  • Antisemitismus: pauschaler Hass und Ablehnung auf Juden und alles jüdische
  • Ausländerfeindlichkeit: aggressive Ablehnung von Menschen aus anderen, „fremden“ Kulturkreisen
  • Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur: im Unterschied zu einer linksgerichteten Diktatur (Stalinismus, Maoismus), Befürwortung einer Ein-Parteien oder Ein-Mann Diktatur, die die „deutsche Volksgemeinschaft“ verkörpert.
  • Chauvinismus: aggressiver Nationalismus, Angehörige einer Nation fühlen sich auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser Nation anderen Menschen überlegen und werten andere ab.
  • Sozialdarwinismus: ist die Übertragung der Evolutionslehre Charles Darwins auf ganze Gesellschaften. Es geht um das „Überleben des Stärkeren“ und „Natürliche Selektion“. „Gutes“ Erbgut wird in einer Gesellschaft beibehalten, „Schlechtes“ soll darin keinen Platz haben. Es wird der Überlebenskampf der Nationen beschworen.
  • Verharmlosung des Nationalsozialismus: Die Verbrechen des NS-Regimes werden verharmlost, beispielsweise mit den Aussagen „Unter Hitler war nicht alles schlecht!“ oder „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten!“

Weitere Merkmale, welche nicht in der Mitte-Studie erwähnt werden, sind ausgeprägter Antipluralismus und Autoritarismus. Rechtsextremisten sehen keine Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Interessen und Ansichten in einem Staat. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten werden als schädlich für die Gemeinschaft angesehen. Die Ursache von gesellschaftlichen Konflikten wird in der Ungleichheit der Menschen gesehen. Deswegen sollen pluralistische politische Institutionen durch autoritäre ersetzt werden. Beide Merkmale zeigen erste Anzeichen von Faschismus, wenngleich letzterer beides viel aggressiver seinen Anhängern vermittelt.

Rechtsextremismus heute

Laut den Studien der Universität Leipzig geht der relative Anteil an Menschen, die ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“ haben, stetig zurück. Im Jahr 2002 hatten 9,7% der deutschen Bevölkerung ein solches Weltbild, während es 2016 5,4% waren. Wichtig hierbei zu erwähnen ist, dass ein geschlossen rechtsextremes Weltbild die Zustimmung in allen sechs Kategorien erfordert. Ist eine Person „nur“ ausländerfeindlich, verharmlost aber die NS-Diktatur nicht oder ist nicht antisemitisch, spricht man laut der Studie nicht von einem geschlossen rechtsextremen Weltbild.

Diese Erkenntnis bestätigt auch die Tatsache, dass nicht jeder Wähler der FPÖ, der AfD oder des Front National automatisch rechtsextrem ist. Was jedoch nicht heißt, dass man einzelne Politiker oder Funktionäre dieser Parteien nicht rechtsextrem nennen darf. Besonders in der Front National und in den deutschnationalen Flügeln der FPÖ und der AfD kommt es immer wieder zur Verharmlosung des NS-Regimes, antisemitischen Aussagen oder zu einer totalen Ablehnung von Pluralismus. Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus sind de facto elementarer Bestandteil der jeweiligen Wahlprogramme.

Eine rechtsextreme Gruppierung, die seit etwa eineinhalb Jahren medial wahrgenommen wird, ist die „Identitäre Bewegung“, oft einfach „Identitäre genannt. Sie vertreten die Auffassung des Ethnopluralismus, die eine kulturelle Reinhaltung von Staaten und Gesellschaften nach Ethnien anstrebt. Migration wird hierbei als Vermischung der Völker betrachtet, die unter allen Umständen verhindert werden soll. Ethnien definieren sich nicht nach dem Stammbaum oder dem Erbgut, sondern sehr stark nach „Herkunft“ und ihrer „Zugehörigkeit zu einer Kultur“, die sie von Fremdem unterscheidet. Einflüsse von fremden Gesellschaften werden als Gefahr für die nationale Identität angesehen, Ausländerfeindlichkeit ist nach den Identitären eine „natürliche Reaktion“ darauf. Sehr hervorgehoben wird dabei die Kultur des „Abendlandes“, welche als höherwertig angesehen wird als beispielsweise die der arabischen Welt oder Zentralasiens. Die Identitären sind vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden und gelten als eine für den Rechtsstaat gefährliche Gruppierung.

Die Gefahr des Rechtsextremismus

Was macht die rechtsextreme Ideologie also so gefährlich? Warum warnen Verfassungsjuristen, Publizisten, Politikwissenschaftler und Zeitzeugen des NS-Regimes so eindringlich vor der Rückkehr dieser Ideologie? Das große Problem daran ist die Ungleichwertigkeit, mit der Rechtsextreme menschliche Existenzen einteilen und die Begründung, wie sie das tun. Gesellschaftlich ist es weitgehend akzeptiert, dass man Menschen auf Grund ihrer Taten, ihrer Erfahrungen, ihrer früheren Aussagen und auf Grund ihres Charakters einschätzt. Die meisten Menschen würden allerdings zugeben, dass sie Menschen nicht in „gut“ oder „schlecht“ einteilen. Kennzeichen einer solchen Einteilung ist einerseits das Fehlen von Werturteilen, andererseits das Individualistische, man beurteilt Menschen individuell auf Grund von Faktoren, auf die sie zumindest einen kleinen Einfluss haben.

Rechtsextreme hingegen teilen die Welt und die darin lebenden Menschen in Kategorien ein, auf die der einzelne Mensch keinen Einfluss haben kann. So ist in der Sprache der Rechten der Bezug auf Herkunft ein immens wichtiger, wie man auch schon bei den Identitären gesehen hat. Fragt man sie, was einen „richtigen“ Österreicher ausmacht, wird die Antwort immer dieselbe sein: „Dass er in Österreich geboren wurde und dass seine Vorfahren ebenfalls aus Österreich stammen.“ Nur dann ist man in den Augen eines Rechtsextremen „wertvoll“, wenn „das richtige Blut durch die Adern fließt“.

Einen Schritt weiter geht dann die Frage nach dem Erbgut. So war es in der NS-Ideologie ein elementarer Bestandteil, dass Menschen bestimmte Charaktereigenschaften erben können, die spezifisch für eine gewisse „Rasse“ waren. Man schrieb Juden zu, dass sie gierig, geizig und hinterhältig seien, nur auf Grund der Tatsache, dass sie Juden waren. Charaktermerkmale sind also nicht mehr individuell, sondern gruppenspezifisch. Nach der Auffassung der Nationalsozialisten wurden diese Charakteristika von Generation zu Generation weitergegeben, weshalb manche Rassen „schlecht“ und manche wiederum „gut“ waren. Daraus resultiert ein weiteres Kennzeichen rechtsextremer Ideologie: gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit. Menschen werden gehasst und missachtet wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Diese Zugehörigkeit kann sich eine Person nicht selber aussuchen, sondern sie wird ihr von „ihren Genen diktiert“.

Die größte Gefahr für die Demokratie dürfte die Ablehnung von Pluralismus sein. Rechte Parteien wie die FPÖ reklamieren zwar immer wieder, sie wollen Meinungsfreiheit verteidigen, doch das ist mehr als scheinheilig. Die oberste Führungsriege der Freiheitlichen hatte bisher keine Hemmungen, Menschen mit einer anderen Meinung bloßzustellen, sie vor Gericht zu verklagen oder einen Shitstorm gegen sie loszutreten. Die Diffamierung des Gegners geschieht dabei häufig, indem man ihm mangelnden Patriotismus oder Heimatliebe unterstellt. Meinungsfreiheit geht definitiv anders. Antipluralismus birgt auch immer die Gefahr des Totalitarismus. Wenn man nur eine einzige Meinung erlauben will, nur eine Weltanschauung als „wahrhaftig“ erachtet, ist der Schritt zu einer Diktatur im totalitären Sinne, die ein gesamtes Gesellschaftsbild umstrukturieren und Menschen nach ihrer Ideologie formen will, nicht weit.

Es sollte jedem Wähler und jeder Wählerin von rechten Parteien klar sein, welch gefährliches Gedankengut damit salonfähig gemacht wird. Es geht nicht darum, alle Wähler als „Nazis“ zu verunglimpfen, das ist dämlich. Der Großteil ist nicht rechtsextrem. Was den Wählerinnen und Wählern aber zu denken geben sollte, ist die Tatsache, dass so gut wie jede rechtsextreme Gruppierung dieselben Parteien unterstützt. Will man wirklich dasselbe wählen wie Menschen, die der Auffassung sind, es gäbe wertvolles und wertloses Leben, und dass die Herkunft darüber entscheidet? Wollen die Wählerinnen und Wähler wirklich, dass sich ein Gedankenkonstrukt durchsetzt, welches Menschen in verschiedene rassische oder kulturelle Kategorien steckt, ein Gedankenkonstrukt, in dem weniger die Leistung und der Charakter eines Menschen zählt, sondern wie „ethnisch rein“ sein Blut ist? Lauten die Antworten „NEIN“, sollte man sein Kreuz besser woanders machen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf maxaurel.wordpress.com

Foto: FPÖ-Chef Strache bei einer Kundgebung in Traiskirchen, 2014 (Unsere Zeitung); Titelbild: maxaurel.wordpress.com

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