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Sind Witze über die COVID-19-Pandemie moralisch vertretbar?

Mehr denn je sollten wir versuchen Witze über die derzeitige Situation zu reißen, denn erst das Komische macht das Ernsthafte erträglich.

Ein Gastbeitrag von Florian Maiwald

Dass es derzeit viel zu lachen gibt, kann wohl niemand behaupten. Die Lage ist dafür viel zu ernst. Aber warum eigentlich? Erfordert nicht gerade die Ernsthaftigkeit der derzeitigen Situation, dass wir ihr mit einem gesunden Humor begegnen? So wie man Hass nicht uneingeschränkt mit Hass begegnen sollte, sollte man dem Ernsthaften nicht uneingeschränkt mit Ernsthaftigkeit begegnen. Und dass die Absurdität der derzeitigen Situation durchaus Anlass bietet auch das Komische zu sehen, aus welchem der Einzelne wiederum Kraft schöpfen kann, scheint unbestreitbar.

Dies soll jedoch keineswegs bedeuten, das sei an dieser Stelle in aller Ernsthaftigkeit hervorzuheben, dass man derzeit wirklich alles als eine von Humor getriebene karnevaleske Show der Übertreibung (Trump, Bolsonaro, Orbán, Modi etc.) betrachten sollte. Die folgenden Zeilen sind also vielmehr als ein Plädoyer, oder ein inspirativer Gedankenanstoß zu verstehen, welcher sich selbstverständlich nicht auf jede erdenkliche Situation applizieren lässt.

Im Folgenden scheint es jedoch zunächst notwendig, einige theoretische Überlegungen sowohl zum Wesen des Humors, als auch zu seiner Beziehung zum Ernsthaften anzustellen. Dabei soll vor allem der Versuch unternommen werden, zu beweisen, warum sich der Humor als eine Revolte gegen die Übel und Ernsthaftigkeiten – welche das Leben unweigerlich mit sich bringt- begreifen lässt.

Im Kontext der bisher bekannten Theorien, welche sich mit dem Phänomen des Humors auseinandersetzten, sei an dieser Stelle insbesondere die so genannte Relief Theory zu erwähnen. Der Grundgedanke dieser Theorie geht davon aus, dass der Akt des Lachens untrennbar mit einem Zustand der Entlastung und Erleichterung verbunden ist. Der englische Philosoph Herbert Spencer geht in diesem Zusammenhang beispielsweise davon aus, dass der Akt des Lachens mit einer Art Sicherheitsventil vergleichbar sei, welches es uns ermöglicht, nervliche Energie abzubauen. In ähnlicher Weise betrachtet Sigmund Freud das Phänomen des Humors als eine ökonomische Funktion des menschlichen Organismus, welche unseren Energiehaushalt am Laufen hält. Vor dem Hintergrund dieser Annahme geht Freud davon aus, dass sich der Akt des Lachens als eine Art Ersatzreaktion auf Situationen, welche normalerweise sehr viel Energie erfordern, begreifen lässt (Räwel, 2005, 15-17).

Gerade im Hinblick auf die derzeitige durch COVID-19 verursachte Situation wird bereits deutlich, welche Funktion das Humorvolle im Hinblick auf das Alltägliche bereithält: Wenn eine bestimmte Situation also viel negative Emotionen hervorrufen mag, so kann Humor oftmals als Substitut für das Einsetzen ebendieser Emotionen dienen, wodurch psychisch-nervöse Energien- ganz im Sinne eines Ventils- gefahrlos abgeführt werden. Die Relief-Theory stellt insofern eine wichtige Grundlage für die von mir vorgeschlagene Form des Humors dar, da sie den Akt des Lachens als eine Art Revolte gegen die ernsthaften Situationen des Lebens begreift. Diese Revolte ermöglicht es letztendlich negative Gemütszustände zu unterdrücken und durch positive Emotionen zu ersetzen.

Die bisher skizzierten Überlegungen sollen zumindest in ihren Grundzügen verdeutlichen, warum sich das Phänomen des Humors als eine derartige Revolte begreifen lässt. Der aus Bonn stammende Philosoph Heinrich Lützeler hob in seinem 1954 erschienen Buch Philosophie des Kölner Humors treffend hervor:

„[…] Der Humor reagiert den Ärger ab. Der Mensch gewinnt Abstand. Er wird innerlich frei, überlegen über die Welt und über sich selbst. Im Kölner steckt etwas von einem Stoiker; vielleicht zeigt sich darin der antike Untergrund noch im Lebensgefühl der heutigen Stadt. Man regt sich nicht unnötig auf, selbst wo es sehr aufregend zugeht“ (Lützeler, 1954, 97).

Für Lützeler stellt der Rheinländer den Prototypen eines von Humor getriebenen Stoikers dar. Im Unterschied zu Lützeler möchte ich jedoch vorschlagen, dass wir eine derartige Grundhaltung nicht in Relation zu irgendeiner spezifischen Region betrachten, sondern global. Soll heißen: Wir alle sind- zumindest ideell- zu einer derartigen Grundhaltung in der Lage. Hier wird bereits noch einmal deutlich, was die Fähigkeit des Humors zu leisten vermag. Im Gegensatz zum Tier ist der Mensch den Ernsthaftigkeiten des Lebens nicht kampflos überlassen, sondern hat die Freiheit sich für eine humoristische Revolte gegen ebendiese zu entscheiden (Nicht umsonst gibt es den Begriff des „tierischen Ernstes“).

Nun ist es jedoch notwendig das Phänomen des Humors, im Hinblick auf die gegenwärtige Situation, aus einem etwas konkreteren Blickwinkel zu betrachten. Ein grundlegendes Charakteristikum, welches die Gefühle der Menschen derzeit zu prägen scheint, ist die Angst vor dem Ungewissen. Es wäre jedoch vermessen zu glauben, dass es sich dabei um eine Form der Angst handelt, welche ausschließlich die gegenwärtige Situation kennzeichnet. Im Grunde sollte uns eine derartige Besorgnis eigentlich jederzeit begleiten, da wir – zumindest im Hinblick auf unser persönliches Leben- nie wissen können, was als nächstes kommt. Um es sinngemäß mit den Gedanken Karl Poppers auszudrücken: das Einzige, was wir tun können, ist, Hypothesen über unser zukünftiges Leben aufzustellen. Dabei sollten wir doch jederzeit damit rechnen, dass diese durch die Realitäten, welche das Leben unweigerlich mit sich bringt, falsifiziert werden können.

Die aus der Unwissenheit und Unkontrollierbarkeit des Zukünftigen resultierende Angst, welche derzeit ausgeprägter denn je scheint (soll heißen: wir werden uns dieser Angst im Kollektiv bewusst) zwingt den Menschen sich auf eine bestimmte Art und Weise zu diesem Gefühl zu verhalten, um mit diesem Gefühl umgehen zu können (vgl. ebd., 97).

Die Unwissenheit und Ängste der derzeitigen Situation erfordern die bereits zuvor skizzierte Form eines humoristischen Ausgleichs. Dazu lohnt es sich jedoch nach dem strukturellen Grundmechanismus zu fragen, welche einem derartigen humoristischen Ausgleich (oder einer derartigen humoristischen Revolte) zugrunde liegen.

Unter Bezugnahme auf den deutschen Philosophen Joachim Ritter macht Lützeler auf den Mechanismus aufmerksam, welcher beim humoristischen Ausgleich von statten geht. Hierzu gilt es zunächst zu verdeutlichen, dass der den Übeln innewohnende Erst des Lebens die Ganzheit des Lebens aufspaltet. In Anbetracht dieses Gesichtspunktes wird es dem Menschen durch die humoristische Revolte ermöglicht, einen Ausgleich herbeizuführen, welcher durch ein Nicht-Ernstnehmen die Ganzheit des Lebens wieder herstellt.

Aber worin besteht nun dieser Ernst des Lebens? Durch welche Charakteristika wird er zu dem was er ist und nicht zu dem, was er nicht ist? Ritter macht auf präzise Art und Weise deutlich, dass der Ernst nur das gelten lässt, was als wesentlich zu betrachten ist. Das Wesentliche lässt sich in diesem Zusammenhang als das Gegenteil vom Nichtigen betrachten. Als das Nichtige lassen sich all diejenigen Gedanken, Träume, Wünsche, Neigungen und Vorstellungen begreifen, welche, ebenso wie das Wesentliche, zum Dasein des Menschen dazugehören, aber durch den Ernst zur Nichtigkeit des Daseins ausgegrenzt und damit zum Unwesentlichen verbannt werden. Die Tatsache, dass der Mensch dieses scheinbar Unwesentliche dennoch als einen genauso wichtigen Bestandteil wie das Wesentliche betrachtet, macht den Kern der Übel der menschlichen Existenz aus. Durch die Funktion des Humors wird es dem Menschen jedoch ermöglicht, die Ausgrenzung des Unwesentlichen aufzuheben. Das Nichtige wird somit als zugehörig zum Dasein des Menschen erklärt. Durch die humoristische Revolte wird der Ernst also als unernst und der Unernst als ernst betrachtet. Oder anders formuliert: Das Unwesentliche wird als wesentlich und das Wesentliche als unwesentlich betrachtet (vgl. ebd., 66-67).

Der derzeitigen Pandemie sollte also gerade aufgrund der ihr innewohnenden Ernsthaftigkeit mit Humor begegnet werden. Denn erst so können wir sicherstellen, dass wir die Ganzheit unseres Lebens auf lange Sicht wieder herstellen. Nur so können wir das Ernsthafte zum Nichtigen degradieren, indem wir die Absurdität der derzeitigen Situation anerkennen.

Wenn wir also im Alltag dazu angehalten werden Abstand zu nehmen, sollten wir dies selbstverständlich auch tun. Aber nicht mit ernsten und verängstigten Blicken, sondern mit einem Lächeln und der Feststellung, wie eigenartig die Lage ist, in der wir uns derzeit befinden.

Viele Leute beschweren sich, man solle derzeit keine Witze darüber reißen, dass die Selbst-Isolationsmaßnahmen noch 10 weitere Jahre andauern könnten. Diesem gilt es meiner Ansicht nach entschieden zu widersprechen: Mehr denn je sollten wir versuchen Witze über die derzeitige Situation zu reißen, denn erst das Komische macht das Ernsthafte erträglich. Erst mit dem Komischen können wir gegen das Ernsthafte rebellieren, da es das emanzipatorische Potenzial des Menschen erst möglich werden lässt. Erst durch den Humor beweisen wir Überlegenheit, indem wir Distanz gewinnen. Auch Schwerkranke gewinnen oftmals eine bestimmte Distanz zu ihrer Erkrankung, indem sie diese aus einer humorvollen Distanz betrachten, und nicht indem immer wieder herauf beschworen wird, wie schlimm doch alles ist.

Ein ebenfalls sehr gutes Beispiel hierfür liefert das 1986 in New York entwickelte Projekt des Clown-doctoring. Ziel dieses Projektes ist es, die psychologisch positiven Aspekte als eine Art der vierten Therapieform in Kinderkrankenhäusern zu nutzen. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, werden sogenannte Clownsdoktoren in Kinderkrankenhäuser geschickt, um neben der medizinischen, pflegerischen und familiären Betreuung eine Art humoristischen Beistand zu leisten. Durch seinen Humor versucht der Clown die schwer erkrankten Kinder trotz der tragischen Umstände, in welchen diese sich befinden, zum Lachen zu bringen. Dieses Vorgehen beruht auf der grundlegenden Einsicht, dass sich über den Akt des Lachens nicht nur zwischenmenschliche Verbindungen aufbauen lassen, sondern auch ein Abstand zu den Ernsthaftigkeiten des Lebens hergestellt werden kann (Räwel, 2005, 13-14).

Und ob man es nun glauben mag oder nicht: Genau so, wie uns die derzeitige Situation dazu veranlassen kann, in eine durch Pessimismus geprägte existenzielle Krise zu stürzen, gibt sie uns ebenso Anlass dazu das Komische zu sehen. Dies wird nicht zuletzt durch den kausalen Ursprung deutlich, welcher diese Krise zunächst ausgelöst hat: ein Virus. Viren sind in einem solchen Sinne relativ dümmliche Formen des Daseins, welche nicht einmal einen Stoffwechselapparat besitzen. Es ist zudem weitestgehend Konsens, dass man Viren nicht einmal als Lebewesen klassifizieren kann.
Ist es nicht absurd, dass ein derart dümmliches, mikrobisches Etwas unserer gesamte Daseinsform vorübergehend in eine Krise solchen Ausmaßes stürzen kann? Ich finde schon.

Quellen:

  • Lützeler, H. (1954). Philosophie des Kölner Humors. Honnef/Rh: Peters.
  • Räwel, J. (2005). Humor als Kommunikationsmedium. Konstanz: UVK-Verl.-Ges.

Florian Maiwald (27) studiert Philosophie, Englisch und Bildungswissenschaften im Master an der Universität Bonn und betreibt den Philosophie- Blog „Meta-Ebene“.

Titelbild: Peter H auf Pixabay


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