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„Hau ab, Frankreich“

Kann sich Westafrika der früheren Kolonialmacht Frankreich tatsächlich entledigen?

Von David Bieber

Dakar. Nach dem westafrikanischen Mali ist es nun Malis Nachbarstaat Burkina Faso, wo auf der Straße oder von Meinungsbildnern „der Würgegriff Frankreichs“ angeprangert wird. Der ehemaligen Kolonialmacht wird regelmäßig vorgeworfen, Afrika mit abnehmender wirtschaftlicher Stärke regelrecht auszuplündern. Die seit vielen Monaten anhaltende antifranzösische Stimmung in fast allen Sahelländern, auch bedingt durch russische Desinformationskampagnen, wächst stetig an und wird zur echten Bedrohung für Franzosen.

Beim Putsch in Burkina Faso von Anfang Oktober wurden französische Einrichtungen (Botschaft und Kulturinstitut) beschädigt. Der neue Militärchef des Landes, der 34 Jahre alte Ibrahim Traoré, rief seine Bevölkerung in Fernsehansprachen dazu auf, keine französischen Einrichtungen und vor allem keine französischen Staatsbürger anzugreifen.

Frankreichs Außenministerium appellierte an die neue Militär-Regierung in Ouagadougou, für den Schutz der rund 22.000 Franzosen in Burkina Faso zu sorgen.

Während antifranzösische Parolen zunehmen, sieht man derweil in Mali und eben in Burkina Faso immer häufiger auch die russische Fahne im Stadtbild. Als reine Provokation der enttäuschten (jungen) Bevölkerung? Wohlwissend, dass der französische Einfluss in Burkina Faso und in den anderen Sahel-Ländern wohl nie ganz verschwinden wird. Zu eng und „historisch“, bedingt durch das koloniale Erbe, sind die Verflechtungen. Oder wird tatsächlich die russische Fahne zum Symbol des antikolonialen Kampfes?

Selbst im als stabil und sicher geltenden Senegal wächst der Unmut auf Frankreich. Viele junge Senegalesen hegen Sympathien für die Proteste gegen die frühere „Grande nation“. Und sympathisieren offen mit Wladimir Putin. Auf Accounts auf sozialen Medien sieht man bei nicht wenigen jungen Senegalesen das Konterfei von Putin oder die russische Fahne. Auch in Senegal haben sich viele (junge) Menschen der Westafrika-weiten Bewegung „FRAPP“ angeschlossen, die eine anti-imperialistische, populäre und panafrikanische Revolution und den Abzug Frankeichs aus der Region fordert.

Weite Teile Westafrikas haben als „chasse gardé“ gegolten, die geschützten Jagdgründe, auch nach dem offiziellen Ende des Kolonialismus mit der Unabhängigkeit der dortigen Länder in den 1960er-Jahren. In diesem Zusammenhang sprach man von der neokolonialen „Francafrique“. Damit gemeint ist Frankreichs umstrittene Afrikapolitik, die am kolonialen Erbe anknüpft. „Die traditionelle französische Einflusssphäre sollte trotz Entkolonialisierung aufrechterhalten werden, um weiterhin den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs zu dienen. Der Zugang zu Energieressourcen im ehemaligen kolonialen Machtbereich, der beispielhaft für die französischen Interessen in Afrika ist, galt als Garant für die energiepolitische Unabhängigkeit und somit den machtpolitischen Einfluss Frankreichs auf internationaler Ebene“, schreibt etwa Julien Thorel von der Pariser Universität Cergy-Pontoise in seinem Artikel „Der schwierige Abschied von der „Françafrique“. Die französische Afrikapolitik zwischen Kontinuität und Wandel“.

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Bis heute bestimmt im Wesentlichen Frankreich die Währungspolitik seiner ehemaligen Kolonien. Der togolesische Ökonom Kako Nubukpo sagt gegenüber der Deutschen Welle: „Bereits der Name der Währung verweist auf den Franc der afrikanischen Kolonien.“ Das Akronym steht für „Franc de la Coopération Financière en Afrique“. Lange bedeutete CFA allerdings Colonies Françaises d’Afrique: französische Kolonien Afrikas. Er sei nach wie vor ein neokoloniales Kontrollinstrument Frankreichs. So ist der westafrikanische Franc immer noch an den Euro gekoppelt, sitzt Frankreich im Verwaltungsrat der westafrikanischen Zentralbank mit Sitz in Dakar und hat dort ein Vetorecht. Der CFA-Franc wird nicht etwa in Westafrika gedruckt, sondern in einer kleinen französische Kommune namens Chamalières. Dort hatte der frühere französische Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing seinen Wahlkreis. „Wie kann man von monetärer Souveränität sprechen, wenn Frankreich so ein Gewicht in der Geldpolitik der frankophonen westafrikanischen Länder hat“, fragt daher die senegalesische Tageszeitung „Dakar Times“ in seiner Ausgabe vom 5. Oktober.

Überdies hat Paris Vorkaufsrechte für viele der natürlichen Ressourcen und ist oft der alleinige Ausstatter der nationalen Armeen. Französische Unternehmen wie etwa Casino oder Orange dominieren viele wichtige Wirtschaftszweige wie Handel und Telekommunikation. Davon haben viele Westafrikaner nun genug und wollen sich ein für alle Mal von der ehemaligen Kolonialmacht befreien. Nur so schnell geht das nicht, wie viele es gerne hätten. So kann etwa aus laufenden Verträgen nicht einfach ohne Vertragsstrafen und große finanzielle Verluste ausgestiegen werden.

Seit den 2000er-Jahren verliert Frankreich bereits stetig an Einfluss in Westafrika, insbesondere in der Sahel-Zone. Und das besonders in einem Bereich und der ist entscheidend. Dennoch wird Paris weiterhin als omnipräsent wahrgenommen. Vielleicht liegt das auch an der starken Militär-Präsenz Frankreichs im Sahel, die mittlerweile viele Menschen dort mit einer Besatzung gleichsetzen. Zudem sind viele Menschen in der Region enttäuscht ob des nicht eingelösten Versprechens, die wachsende islamistische Bedrohung dort zu bekämpfen, für die Frankreich Anfang der 2010er-Jahre den Weg nach Mali überhaupt erst wieder einschlug. Terroranschläge in Mali und vor allem in Burkina Faso nehmen seit vielen Monaten wieder zu, weite Teile der beiden Länder sind in den Händen von Islamisten.

Wie dominant Frankreich einmal in Afrika gewesen war, bevor es nun China, Russland, die USA und neue Player wie der Iran oder selbst die Türkei sind, verdeutlicht ein Fakt: Fast jedes dritte afrikanische Land stand irgendwann in seiner Geschichte unter dem Joch Frankreichs. Das hinterlässt Spuren in kultureller, politischer, militärischer und natürlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Aber ökonomisch ist Frankreich sechzig Jahre nach der Unabhängigkeit überhaupt nicht mehr die dominierende Macht.

Sein Niedergang war beträchtlich seit den frühen 2000er-Jahren. In 20 Jahren wurde ihm der Titel als führender Lieferant des Kontinents und dann als führender Investor des Kontinents aberkannt, heißt es in einem Bericht des internationalen französischen Radiosenders (Rfi). Wertmäßig haben die französischen Exporte demnach nach Afrika jedoch stark zugenommen. Aber ihr relatives Gewicht hat sich halbiert und ist zwischen 2000 und 2021 von 12 auf fünf Prozent gefallen. Ein enormer Rückgang.

Dies ist auf die explosionsartige Nachfrage der (West)Afrikaner zurückzuführen, sie wurde vervierfacht. Dazu gesellten sich auch neue Wettbewerber. Seit Anfang der 2000er-Jahre knabbert China an neuen Marktanteilen und entthronte Frankreich bereits im Jahre 2007. China beansprucht jetzt 17 Prozent des kontinentalen Marktes – dreimal mehr als Frankreich, heißt es weiter. Überall in Westafrika sind Chinesen seit vielen Jahren aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken, arbeiten als erfolgreiche Unternehmer und sind oftmals Arbeitgeber für Einheimische und investieren in Schlüsselinfrastruktur wie etwa in Senegal. Dort beteiligen sich chinesische Firmen an der Erschließung des Gasfeldes vor der Atlantikküste und bauen Werften.

Aber die spannende Frage ist doch, warum die antifranzösische Atmosphäre in einer Zeit verstärkt aufkommt, in der seine wirtschaftliche Präsenz schwindet?

Auch, wenn westafrikanische Länder im Außenhandel Frankreichs wenig zählen, bleibt es für sie ein allgegenwärtiger Partner, da Frankreich immer noch ihr erster europäischer Lieferant ist. Generell, das merkt man auch in Gesprächen mit Menschen aus Burkina Faso, Senegal oder Mali, basiert die aufgeheizte Stimmung auf Gefühlen und beziehen sich auf viele generelle Missstände, für die Frankreich verantwortlich gemacht wird.

Das Ansehen der ehemaligen Kolonialmacht leidet unter dieser antifranzösischen Stimmung massiv, beklagen französische Medien. Laut der jährlichen Umfrage französischer Arbeitgeber unter afrikanischen Führungskräften verschlechtert sich das Image Frankreichs von Jahr zu Jahr. Frankreich liegt im Ranking der beliebtesten nichtafrikanischen Länder nur auf dem siebten Platz, weit hinter den Top 3, den USA, Deutschland und Kanada.

In der Rangliste der Länder, die für Afrika am vorteilhaftesten sind, liegt Frankreich nur auf dem neunten Platz, überholt von der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten in der neuesten Ausgabe der Umfrage.

Und was tut Frankreich dagegen? Gegen diese „Ressentiments“, wie viele Franzosen beklagen. Mit einer ganzen Reihe von politischen Initiativen soll gegengesteuert werden. Es gab einen Gipfel zur Finanzierung afrikanischer Volkswirtschaften während der Corona-Hochzeit. Auch wurden Impfstoffen versandt und mit Frankreichs Unterstützung an eigenen Impfstoffen gegen Corona geforscht wie etwa im Institut Pasteur zu Dakar in Senegal.

Beim vergangenen Afrika-Frankreich-Gipfel im südfranzösischen Montpellier hat die Regierung Influencer und klein-und mittelständische Unternehmer ins Visier genommen, in der Hoffnung, neue Meinungsführer von der Bedeutung Frankreichs für Afrika zu überzeugen. Darüber hinaus werden regelmäßige Treffen zwischen französischen und afrikanischen Wirtschaftsführern organisiert, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu stärken. Das ist etwa die Hauptaufgabe des „Forum Ambition Africa“. Die vierte Ausgabe fand Anfang Oktober in Paris statt.


Titelbild: Anthony Choren auf Unsplash

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Ein Gedanke zu „„Hau ab, Frankreich“

  • Gerti Pernerstorfer

    Informativer Artikel, aber ohne „russischen Desinformationskampagnen“ geht anscheinend heute nichts mehr …

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