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Eine Nachricht an „uns“ Linke

antifaIch bin angfressen. Auf Euch. Auf mich. Auf uns!
Ein Kommentar zur Bundespräsidentenwahl von Niklas Böck


Ja, jetzt sind wir schockiert, wer hätt´s gedacht, dass sich die „Befürchtungen“ bewahrheiten, dass Van der Bellen und der Rest so schwach dastehen und dass es tatsächlich passiert? „Auswandern wär’s jetzt!“, „Wie kann ein Land nur so blöd sein?“ und zahlreiche weinende Emoticons mit dem dazugehörigen, obligatorischen: „Gute Nacht Österreich!“ versehene Posts dominieren jetzt meine Facebook-Timeline. Gute Freunde und Freundinnen klagen mir beim gemeinsamen Treffen am Nachmittag des Wahltags ihren politischen Frust und können es zum Teil kaum fassen: Norbert Hofer hat den (vorläufigen) Wahlsieg mit einem ordentlichen Vorsprung errungen.

Na ein Glück bleibt der Van der Bellen weiterhin „sportlich“ und gibt sich das Duell noch bis zur Stichwahl, vielleicht wird er’s ja doch noch und wir hätten es wieder einmal als Linke gemeinsam geschafft einen blau-braunen Kandidaten, für welches Amt auch immer, „abzuwehren“, was statt dessen käme wäre erstmal nicht so wichtig, Hauptsache vor der FPÖ sind wir in Sicherheit! Bis das eintritt geben wir uns natürlich vier Wochen lang die allergrößte Mühe unserer Wut, unserem Protest gegen die bevorstehende blaue Bedrohung Ausdruck zu verleihen. Zu lesen ist bereits am Wahltag der ersten Runde beispielsweise: „Liebe Hofer-WählerInnen! Ihr habt einen bekennenden Nationalsozialisten gewählt. Ihr Trotteln!“, die Fronten sind also spätestens jetzt gezogen. „Wir“ gegen „Die“ und ja schauen, dass jeder und jede, ganz egal aus welchem Lager, den Van der Bellen bei der Stichwahl ankreuzt. Eh klar.

Fällt euch etwas auf? Grundsätzlich könnte man die ersten beiden Absätze auf ausnahmslos alle österreichischen Wahlen der letzten paar Jahre anwenden. Namen und Details müssten abgeändert werden, aber im Prinzip ist das jenes Prozedere, welches ich jetzt seit geraumer Zeit beobachte und auch mitmache. Wir demonstrieren dagegen, dass es die FPÖ schafft. Sie schafft’s. Wir sind empört. Demonstrieren wieder, und so weiter und so fort. Antifaschismus in a Nutshell. Dazu kommen dann noch, wie oben schon zitiert, kontraproduktive und elitäre Kommentare über die WählerInnen der besagten Partei und fertig ist die, sich im Kreis drehende, (österreichische) Linke. Was hier größtenteils passiert ist ein Antifaschismus, um des Antifaschismus Willen. Ein stark moralisierter Selbstzweck also. Wer seit Jahr und Tag predigt, wie ungebildet, nazistisch und schlichtweg schlecht die WählerInnen der FPÖ seien, der/die darf sich dann nicht wundern, warum ebenjene so schlecht auf uns und unsere (derzeit propagierten) Inhalte zu sprechen sind. Wir haben etwas unglaubliches mit diesen Reflexen geschafft. Wir haben es geschafft, dass die Menschen, die am Meisten von unserer Ideologie, von unserer Politik profitieren würden, uns als Teil des Problems sehen.

Wir müssen endlich einsehen, dass linke Politik nicht (nur) heißen kann sich ins gemachte Nest der linken Subkultur und Hegemonie zu setzen, während man vom (pseudo) intelektuellen  Elfenbeinturm schön die ArbeiterInnenklasse dafür angreift, dass sie rechten DemagogInnen hinterher läuft. Ob dieses Türmchen jetzt Audimax, Star Bucks oder Facebook heißt ist dabei egal, realpolitisch bringt uns das alles am Ende des Tages gleich wenig. Sicher, Weiterbildung, Diskussion und Diskurse innerhalb der Bewegung sind verdammt wichtig, leider sitzt die ArbeiterInnenklasse aber nicht bei unseren Plenaren und Lesekreisen, die steht auch nicht hinter uns in der Schlange vor dem Pop Up Store, sondern im Betrieb, im Büro und auf der Straße und sie wird den Teufel tun sich von dort weg zu bewegen, sie kann es mehrheitlich nämlich nicht. Es macht schlichtweg keinen Sinn den Leuten zum tausendsten Mal zu erzählen wie faschistisch Hofer, Strache, Gudenus und Konsorten nicht seien, wenn wir unseren Antifaschismus nicht mit einer effektiven sozialen Frage verknüpfen. So verpöhnt es im akademischen Spektrum auch sein mag, aber wer „Nazi!“ ruft, muss auch „Löhne, Mieten, Leben“ rufen und es verdammt noch mal auch meinen. Reaktionärem Gedankengut muss von vornherein der Nährboden durch einen konsequenten Klassenkampf entzogen werden. Es ist bezeichnend, wenn Antifas in Bussen quer durchs Land fahren, um Faschos zu verdreschen, doch von gewerkschaftlicher Arbeit oder betrieblicher Organisierung keinen blassen Schimmer haben und da nehme ich mich selbst nicht aus, doch so ist es leider.

Wir müssen demonstrieren, wir müssen mahnen und wir müssen radikal bleiben, doch wir dürfen nicht einem elitären Werdegang verfallen, in dem wir das revolutionäre Subjekt zusehends aus den Augen verlieren. Während wir uns in theoretischen Zwistigkeiten untereinander zerstreiten, greifen die RassistInnen der FPÖ unsere (!) Zielgruppe ab und profitieren von diesem Szene-Sumpf. Unsere Reaktion auf Wahlen in denen uns besagtes Übel droht ist schwach und inkonsequent, wir tun förmlich so, als seien die anderen bürgerlichen KandidatInnen der jeweiligen Wahl eine echte Alternative oder sprechen eben vom „geringeren Übel“ und das Wahl für Wahl, wobei wir nicht begreifen, dass diese Wahlen eben nicht das sind, was wir als Demokratie verstehen. Natürlich kann man sinnvoll argumentieren „taktisch“ zu wählen, nur ärgert es, dass uns in letzter Instanz einfach nichts anderes mehr übrig zu bleiben scheint.

Darum liebe Linke, versuchen wir gemeinsam mehr zu sein. Mehr als die hinterher eilende Antifa, die stets zur Stelle ist, wenn Rechte wiedereinmal marschieren. Mehr als moralisierende bürgerliche, die auf SPÖ und Grüne verweisen. Mehr als linke Sekten, die es für allzu wichtig halten sich gegenseitg zu kritisieren, anstatt tatsächlich politisch zu arbeiten. Lasst uns proletarisch sein. Lasst uns ehrlich links sein. Für den Sozialismus.

Foto: ANTIFA GRAFF II (seven resist/flickr.com; Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0); Titelbild: screenshot (Wiener ZeitungWahlergebnisse der Bundespräsidentschaftswahl)

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12 Gedanken zu „Eine Nachricht an „uns“ Linke

  • Irgendeine

    Gratulation! Perfekt auf den Punkt gebracht!

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  • A) was bitte ist ein popup-store?
    B) stell dich mal zu mir in die werkstatt, dann vergeht dir die phantasie vom proletariat als revolutionäres subjekt (das war vielleicht mal was, als der sozialismus noch frisch war. aber mittlerweile seh ich den klassenkampf durch kleine zugeständnisse der kapitalisten ziemlich verwässert. die arbeiter haben deutlich mehr zu verlieren als bloß ihre ketten).

    Lösung hab ich auch keine, aber Protest gegen diejenigen, die uns den Hofer als Präsident einbrocken wollen ist angebracht denk ich.

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    • Jonas

      diese Phantasie des proletariats als revolutionäres Subjekt sollte sowieso in unserem heutigen Finanzkapitalismus hinterfragt werden. Die Arbeiter_innen in Ö besitzen weder die notwendige Macht in wirtschaftlichen Prozessen, um Revolutionen zu erreichen oder stellen die Mehrheit der Bevölkerung, noch sind sie vereint. Firmen wandern lieber aus, als sich von ihren Arbeiter_innen drängeln zu lassen. Aber selbst einer globalen Arbeiter_innenschaft traue ich kein treibendes revolutionäres Moment zu, da sie zu divers und konkurrierend ist.
      Wenn diese revolutionären Prozesse fehlen und die Geschichte nicht automatisch zum Sozialismus hinführt, dann ist es vielleicht Zeit sich politischen, normativen Theorien zuzuwenden, jene die eine „linke“ so lange abgelehnt hat. Nicht den sozialstaatlichen Kapitalismus, welcher wachsende Ungleichheiten durch minimale Schadensersatzzahlungen an die Armen und ohnmächtigen der Gesellschaft ausgleicht, sondern einer Form des Demokratie in der Arbeiter_innen und Bürger_innen Produktionsmittel und Ressourcen (mit-)besitzen, in ihren Betrieben mitbestimmen können, in der Parteiförderungen stark kontrolliert sind, Ämter und Positionen allen offen stehen und in der progressive Steuern auf Erbschaft und Vermögen eine ökonomische Gleichheit gewähren. Weit weg vom (nichtstaatlichen) Sozialismus wäre das sowieso nicht, aber es ist frischer und realistischer als die alten Ideen der Revolution durch das (in Österreich schwindende) Arbeiterproletariat.

      Dem Autor stimme ich dennoch in den meisten Punkten zu. mein Kommentar bezieht sich hauptsächlich auf den letzten Satz und den Kommentar von SIAS.

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      • Kurt Prinz

        Ja da muß ich Jonas recht geben! Mit Sätzen wie „lasst uns proletarisch sein“ wird ma bei Hacklan aber sowas von fix nix reißen.

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        • daniel

          dann bitte ich um deine alternativen …

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      • La LYc

        Da stimme ich voll zu! Diese Weiterentwicklung des sozialistischen Gedankens kommt auch viel näher an das, was Marx meinte- und ich würde gerne konkret an einem solchen Vorschlag mitarbeiten, wie man zb durch progressive Erbschaftssteuerregelungen die Mitarbeiterbeteiligungen an Großbetrieben vergrößern kann.

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  • Diese Verzweiflung von euch Linken ist irgendwie schon sehr amüsant….. ??

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    • Stefan

      Da fängt die Story wieder von vorne an. Egal ob „Links“ oder „Rechts“ – solange man sich gegenseitig beschimpft, sich auslacht, einen nicht ernst nimmt mit den Problemen die jeder hat, solange wird das alles nicht in geregelte Bahnen laufen.
      Wir stellen uns hin, egal ob Rechts oder Links, und spielen Marionetten einer Ideologie.
      Weder der eine, noch der Andere gibt Ideen und (realistische) Lösungsvorschläge von sich.
      Gemeinsam sollte man einen Weg finden.
      Gemeinsam mit Verständnis für einander kann das funktionieren.

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  • „Lasst uns proletarisch sein!“ – Das klingt wie die Idee zu einem Comedyfilm aka „Philip und Lukas studieren Philosophie. In den Sommerferien beschließen sie, mal etwas Neues auszuprobieren. Sie arbeiten auf dem Bau. Doch der Beton ist hart und das Gerüst ist hoch. Dann will auch noch ein Dach gedeckt werden. Eine schwindelerregende Actionstory nimmt ihren Lauf…“

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  • manuel

    sehr guter Kommentar und leider verdammt wahr!
    so blöd das jetzt klingt, aber was die Linke braucht ist Populismus, mal ehrlich Flyer der Linken sind selbst für mich als überzeugten Antikapitalisten oft zu viel zu lesen.
    Die Linke muss es endlich verstehen die Arbeiter für sich zu gewinnen und leicht und verständlich ihre ziele erklären.

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  • Rui Filipe Gutschmidt

    Liebe Freunde. Den Mitteleuropäern geht es noch zu gut! Seht euch um – schaut nach Süden! – und ihr seht eure Zukunft.
    Nach 4 Jahren ultraliberaler Hölle haben wir eine links-gestützte Regierung! Es ist ein Kampf gegen die Windmühlen der EUrokraten….

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