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Liebes Graz, wir müssen reden!

Ich bin im Moment tief besorgt über die politische Stimmung in unserer Stadt und in diesem Land… (von Robert Krotzer)

robert_krotzer

…am Samstag geschah ein schreckliches Verbrechen in der Grazer Innenstadt, bei dem drei Menschen zu Tode kamen und drei Dutzend Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden. Unter den Toten ist der 28-jährige Adis, ein junger Muslim, der erst vor zwei Wochen geheiratet hat; seine Frau liegt im Koma. Mit ihm starb eine 25-jährige Frau, eine junge Bettlerin, deren Identität noch nicht geklärt werden konnte, sowie ein 4-jähriger Junge, um ihn trauert seine aus Bulgarien stammende Familie.
Der Täter, ein psychisch schwer kranker Mensch, der auch seine Frau und seine Kinder terrorisiert hat, hat in der Grazbachgasse ein junges muslimisches Paar mit einem Messer attackiert. Als er schließlich von der Polizei gestoppt werden konnte, gab er an, er fühle sich „von den Türken verfolgt“. Vom Landespolizeidirektor wurde mehrmals klargestellt, dass es sich um keinen extremistischen oder politischen Anschlag gehandelt hat.
Soweit die Fakten. Und schlimm genug, dass man Nationalität und/oder Religionszugehörigkeit überhaupt anführen muss, als wären wir nicht alle schlicht und einfach alle Menschen – und als solche ganz wunderbare Geschöpfe, aber auch mit schier unendlichen Abgründen.

…entgegen allen menschlichen Vorstellungen von Mitgefühl, Pietät und Zusammenhalt in dunklen Zeiten begannen manche noch in jenen Minuten, in denen Graz und ganz Österreich den Atem anhielt und fassungslos war, regelrecht die Messer zu wetzen. Einige von euch kommentierten den viel diskutierten Post von FP-Chef Strache als politischen Kleingeld-Wechsel. Ich halte das noch für zu harmlos, hier wurde eine regelrechte Menschenhatz vorbereitet. Ich will nicht daran denken, was in dieser Nacht in unserer Stadt geschehen wäre, wenn sich die von gewissenlosen Journalisten und Politikern in Umlauf gebrachten „Gerüchte“ bewahrheitet hätten…

…einen Vorgeschmack darauf bietet jene Erzählung, die ich am Samstag Abend erfahren habe. Der Grazer Altbürgermeister Alfred Stingl soll am Samstag am Heimweg aus dem Pflegeheim, wo er seine schwer kranke Frau besucht hat, noch VOR der tragischen Amokfahrt in der Straßenbahn von Fahrgästen übelst beschimpft worden sein. Der Tenor dabei: Er sei schuld, dass „so viele Ausländer“ in der Stadt sind und „die“ sich nun „so aufführen“. Die Pöbeleien waren so heftig, dass der 76-jährige (!) Stingl schließlich die Bim verlassen musste, weil ihm niemand zur Hilfe kam.

…wenn nun ein Massenmedium in dieser aufgeheizten Stimmung derart berichtet, wie die Kronen-Zeitung, die in hetzerischer Absicht einen Zusammenhang zwischen der Tat und „religiös“ motiviertem Extremismus zu konstruieren versucht, um die Trauer und Wut der Menschen für pauschalisierende Stimmungsmache gegen MuslimInnen zu missbrauchen, dann kann man das mit Fug und Recht als geistige Brandstiftung bezeichnen. Wir brauchen Zusammenhalt, nicht noch mehr Angst, Unsicherheit und Hass!

…in diesen Tagen gibt es aber auch viele Dinge, die eben diesen Zusammenhalt zum Ausdruck bringen. Im stillen Gedenken tausender Grazerinnen und Grazer am Samstag Abend in der Innenstadt war nichts von Hass zu spüren, nur unendliche Trauer – und der Wunsch zusammenzurücken, egal woher man kommt, gemeinsam zu gedenken und den Angehörigen, die so viel Leid ertragen müssen, Kraft zu wünschen. Wichtig ist daher auch die Erklärung der Grazer Stadtregierung, in der es unter anderem heißt: „Mit aller Vehemenz distanzieren wir uns von jenen – Medien, PolitikerInnen und Privatpersonen -, die aus dieser Wunde Kapital schlagen und die Gesellschaft bewusst spalten wollen. Als Gesellschaft sind wir aufgerufen, individuelle Not mit mehr Sensibilität wahrzunehmen, den Menschen in unserem Umfeld besser zuzuhören und da zu sein, wenn wir gebraucht werden.“ Die Gedenkkundgebung kommenden Sonntag soll eben das zum Ausdruck bringen.
Und wichtig ist auch, dass mehr und mehr Menschen ihr Schweigen brechen und ihre Stimme gegen Hetze und Rassismus erheben. Das hilft. Leider nicht immer. Aber es gibt keine Alternative dazu, für Mitmenschlichkeit und Solidarität die Stimme zu erheben, will man nicht der Verrohung unserer Gesellschaft tatenlos zusehen.

…erst am Freitag hatte ich auf einem Infostand, bei dem wir die Bevölkerung über die letztwöchige Gemeinderatssitzung informiert haben, eine solche Diskussion. Während ich mit einem älteren Herren, seinen Worten nach pensionierter Unternehmer, darüber diskutiert habe, dass Wohnen ganz und gar nicht „zu billig“ ist (wie er meinte…), sagt er plötzlich: „Schauen’S Ihna an, wos fia a G’sindl durch unsa Stodt lauft“ – und zeigte auf eine Gruppe junger Männer, vermutlich Asylwerber aus dem arabischen Raum. Ich war im ersten Moment baff. Und sagte ihm dann ins Gesicht: „Jetzt passen’S einmal auf: Haben Sie überhaupt irgendeine Ahnung davon, was in Syrien passiert?“ Und nach mehreren Minuten emotionaler Diskussion war ich wieder baff. Als er nämlich sagte: „Wahrscheinlich haben’S eh recht. Es muass schon wirklich schlimm sein, was in dem Krieg olles passiert. Weil wenn des net so oarg wär‘, tät keiner sein Leb’n am Mittelmeer riskieren um daher zu kommen.“
Die Herzen sind noch nicht ganz verschüttet. Wir müssen an sie appellieren. Das wird nicht immer gelingen. Aber jeder Versuch ist es wert!

…und wenn in der gegenwärtigen politischen (Un-)Diskussion immer wieder zu hören ist, dass man die Sorgen und Probleme der Menschen ernst nehmen muss, dann ist das richtig. Aber doch nicht so, dass sich eine vormals sozialdemokratische Partei in Linz mit flüchtlingsfeindlichen Tafeln an den Straßenrand stellt!

Wir durchleben eine tiefe gesellschaftliche Krise des kapitalistischen Systems, die auch hier in Österreich den Lebensstandard breiter Bevölkerungsteile sowie ihre Arbeitsplätze und Pensionen, unser Bildungs- und Gesundheitssystem, ja sogar die (vermeintlich) erreichte Ebene des Humanismus bedroht. Um davon abzulenken, führen die rechten Hassprediger nach dem Motto „Nach oben buckeln, nach unten treten“ MigrantInnen als Sündenböcke vor…

Dabei kann man es nicht oft genug sagen: Das Vermögen der Familie Porsche-Piech ist alleine im letzten Jahr von 45 auf 65 (!) Milliarden Euro angewachsen, aller Krise zum Trotz. Das ist die Verteilungsmasse um die wir im Interesse von Arbeitsplätzen, Bildungswesen oder billigerem Wohnen kämpfen müssen. Und nicht die wenigen Millionen, die für Flüchtlinge ausgegeben werden!

„Vorwärts, und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen, vorwärts,
und nie vergessen: die Solidarität!
Auf ihr Völker dieser Erde,
einigt euch in diesem Sinn:
Daß sie jetzt die eure werde,
und die große Nährerin.“
(Bertolt Brecht)

Robert Krotzer ist Gemeinderat der KPÖ in Graz

Fotos: facebook, Der Uhrturm, das Wahrzeichen der steirischen Landeshauptstadt Graz (Philipp Steiner/Lizenz: CC BY-SA 3.0)

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11 Gedanken zu „Liebes Graz, wir müssen reden!

  • Beate Sinowatz

    Sehr treffend und traurig zugleich…

    Antwort
  • Christian Promitzer

    Lieber Robert,
    ich kann Dir in allem nur zustimmen. Für mich hast Du es auf den Punkt gebracht! Bitte, mach weiter so.
    LG
    Christian

    Antwort
  • das sagt so viel was ich bis jetzt nicht in worte fassen konnte! danke!

    Antwort
  • Diesen Artikel finde ich nicht besser als das Kommentar von Strache. Er ist höchstens sprachlich besser verpackt.

    Der Artikel beginnt ebenso mit einer Referenz auf den Amoklauf in Graz und endet mit einem politischen Seitenhieb für die eigene Agenda, nur halt in die andere Richtung.

    Antwort
    • „Das“ Kommentar? Schlag doch mal im Wörterbuch nach…

      Antwort
  • Meine Güte, vom besagten Politiker wurde eine zu diesem Zeitpunkt inhaltlich korrekte Aussage rezitiert. Das als „vorbereitete Menschenhatz“ zu bezeichnen ist wohl ein bisschen hoch gegriffen.
    Und so unbewahrheitet sind die Gerüchte keinesfalls, mittlerweile gibt es mehrere Nachbaraussagen wie unintegriert der Mann trotz 22 Jahren Aufenthalt war und dass er seine Frau mit Gewalt zum Kopftuch zwang. (Aussage der Frau)

    Ich hoff nur, es kommt nicht wirklich mal ein richtig rassistischer, extremistischer Mann ans politische Podest, dann wisst ihr wovon ihr jetzt redet.

    Antwort
  • Walter Kalunder

    Hallo Herr Krotzer,

    es schmerzt und besorgt mich, dass ich Ihnen inhaltlich großteils folgen muss, hier manifestiert sich gerade eine „politische“ Position, welche ich bei uns in dieser Form für längst ausgestorben hielt… hier muss tatsächlich etwas geschehen, wegschauen und aus einem intellektuellen Elfenbeinturm heraus darüber lachen, ist leider keine gangbare Option mehr.

    DENNOCH erstaunt mich doch auch die offensichtliche wirtschaftliche Unkenntnis Ihrer Partei immer wieder aufs Neue. Die Vermögenszuwächse des Porsche-Piech Clans (nebenbei bemerkt ein Familienclan mit gut um die 100 Personen, großteils deutsche Staatsbürger und damit nicht im steuerlichen Hoheitsgebiet von Österreich angesiedelt) sind rein buchhalterische Zugewinne aufgrund der stichtagsbezogenen Bewertung des Finanzanlagevermögens (vorrangig der Porsche SE) bzgl. deren Beteiligung am VW-Konzern. Würden Sie eine Gewinnbesteuerung von derlei „BUCHHALTERISCHEN Zugewinnen“ (um es verständlicher zu machen, das sind lediglich fiktive Gewinne in Ihren Büchern die sie nie cash gesehen haben, die Porsche-Piechs haben die + € 20 Mrd. also nur THEORETISCH verdient, können auf das Vermögen aber faktisch nicht zugreifen) gesetzlich vorschreiben, würden vermutlich 20-30% der österreichischen Unternehmen direkt konkurs gehen. Alleine im Falle Porsche-Piech würde dies bedeuten, Sie riskieren die Arbeitsplätze von knapp 600.000 Personen weltweit.

    Bleiben Sie kritisch, zeigen Sie die Probleme in unserer Gesellschaft auf und nehmen Sie Position ein… aber versuchen Sie doch auch die wesentlichsten wirtschaftspolitischen Zusammenhänge eines (kapitalistischen) Systems zu verstehen, welches Europa in den letzten Jahrzehnten einen fantastischen Wohlstand gebracht hat.

    Viele Grüße,
    Walter Kalunder

    Antwort
  • Friedrich Kroppenstein

    Wer Robert Krotzer in diesem Fall vorwirft, vom selben Anlassfall aus lediglich „nur halt in die andere [politische] Richtung“ zu argumentieren, begeht einen entscheidenden Denkfehler.
    Während Strache tatsächlich die Amokfahrt nutzte, um fremdenfeindliche Positionen seiner Partei zu untermauern, nimmt Krotzer eben die Aussagen Straches, die Sündenbockmentalität, als Ausgangspunkt seiner Reflexionen. Ein vermeintlich kleiner, aber entscheidender Unterschied.

    Ebensowenig stimmt, dass das Posting Straches zum Zeitpunkt der Veröffentlichung “ inhaltlich korrekte Aussage[n]“ enthalten hätte. Der Artikel der Kronenzeitung, auf den sich Strache bezog, entsprach nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht und widersprach den offiziellen Angaben der Polizei. Selbst wenn Strache geglaubt hätte, hier die Wahrheit zu posten, was auf Basis seiner folgenden Reaktionen („linke Hetze“, „linke Medien“ etc.) kaum anzunehmen ist. Müsste er sich den oben erhobenen Vorwurf gefallen lassen.

    Antwort
    • Thomas

      @Friedrich Kroppenstein
      Diese „Reflexionen“ sieht so aus, dass eine Stimme gegen „Hetze und Rassismus“ in Person des HC Strache erhoben werden soll. Die Aufforderung eine Stimme zu erheben ist keine Reflexion sondern ein politischer Aufruf, zumal beide Seiten von Parteien stammen.

      Und wie sollen Sie zum Zeitpunkt des Erscheinens eines Artikels feststellen, ob er der „journalistischen Sorgfaltspflicht“ entspricht? Das ergibt sich, wenn überhaupt, erst viel später.
      Die Aussagen der Polizei es handle sich um keinen religiösen Anschlag, kamen erst nach Erscheinen des Artikels.

      Außerdem frag ich mich, warum jetzt Ermittlungen betreffend des Umfeldes des Täters und seiner Kontakte in nah-östliche Staaten geführt werden. Das würde doch keinen Sinn ergeben solche Ermittlungen zu machen, wenn doch ein religiöses Tatmotiv schon ausgeschlossen werden konnte.

      Antwort
      • Zoran Sergievski

        Lieber Thomas!

        Ich wage zu behaupten, dass die polizeilichen Aussagen, auf die Sie sich beziehen, noch vor dem genannten Artikel getätigt wurden. Unabhängig davon schrieb der Boulevard auch dann noch von religiösen Motiven, als die Einschätzung schon bekannt war.

        Und wo wie wann ermittelt wird, mag zwar religiöse Gründe im ersten Augenblick nahelegen, ist aber keine notwendige Bedingung. Dann müsste ja jedes Ermittlungsverfahren gegen Katholikinnen und Katholiken in Österreich zwangsläufig über Kardinal Schönborn in den Vatikan und nach Polen oder Kroatien führen.

        Mit besten Grüßen!
        ZS

        Antwort
        • Thomas

          @Zoran Sergievski
          Es wurde ja auch nicht als notwendige Bedingung angeführt, sondern als noch nicht auszuschließende Möglichkeit.

          Würde die Welt gerade von katholisch motiviertem Terrorismus heimgesucht werden und insbesondere ein nicht-katholischer Kontinent von katholischen Einzeltätern, dann wäre die Fragestelltung, ob es sich bei einem Anschlag um einen katholischen handelt ebenso gerechtfertigt.

          Antwort

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