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Die Februarkämpfe in Österreich 1934

Über Hintergründe und Folgen des kurzen österreichischen „Bürgerkrieges“

Von Tibor Zenker

Am 12. Februar 1934 erhoben sich die fortgeschrittensten Teile der Basis des Republikanischen Schutzbundes und der österreichischen Arbeiterklasse zum bewaffneten Kampf gegen den Faschismus. Es war dies der verzweifelte Versuch, die Durchsetzung der austrofaschistischen Diktatur zu verhindern, die von den reaktionärsten Kräften der Christlichsozialen Partei (CSP) um Bundeskanzler Engelbert Dollfuß sowie seitens der faschistischen Heimwehrbewegung unter Ernst Rüdiger Starhemberg und Emil Fey betrieben wurde.

Zu diesem Zeitpunkt waren die demokratischen und antifaschistischen Kräfte längst in der Defensive. Die bürgerlichen Regierungen waren ab 1920 daran gegangen, die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung aus den Jahren 1918-1920 wieder zu beseitigen, während die Sozialdemokratische Partei im „Roten Wien“ ihr Gegenmodell forcierte.

So standen sich in den Jahren der Erste Republik zwei zunehmend unversöhnliche Gegner gegenüber: Auf der einen Seite die Sozialdemokratie, die einen parlamentarischen und reformistischen Weg zum Sozialismus propagierte, mit dem Republikanischen Schutzbund über einen (schlecht) bewaffneten Arm verfügte und beinahe die gesamte Arbeiterklasse vertrat, da die noch junge Kommunistische Partei (KPÖ) zwar durchaus zählbaren Zulauf hatte, aber nur über  geringen Einfluss verfügte; auf der anderen Seite die bürgerlichen Kräfte, vor allem vertreten durch die CSP, die offen von der Katholischen Kirche unterstützt wurde, ihre Regierungspartner zumeist unter den großdeutschen Parteien fand und mit der zunehmend faschistischen paramilitärischen Heimwehrbewegung verbunden war.

Die Provokationen der Faschisten verstärkten sich, bis mit der blutigen Niederschlagung der Wiener Julirevolte von 1927 durch Polizeipräsident Johann Schober ein erster Höhepunkt erreicht wurde. Mit dem „Korneuburger Eid“ von 1930 nahm sich die Heimwehr sodann bereits kein Blatt mehr vor den Mund.

Äußerst schändlich ist in diesem Kontext die mitunter vertretene Ansicht, hier hätten zwei Blöcke so lange die direkte Konfrontation gesucht, bis der Bürgerkrieg unausweichlich gewesen sei, womit man auch von einer „geteilten Schuld“ sprechen müsse. Doch eine geteilte Schuld zwischen den Verteidigern der Demokratie und ihren Totengräbern, zwischen Antifaschisten und Faschisten kann es niemals geben. Die Schuld einer antidemokratischen, reaktionären und asozialen, letztlich faschistischen Entwicklung liegt deutlich auf Seiten der CSP und der Heimwehrbewegung. Die „Schuld“ der Sozialdemokratie besteht hingegen lediglich in der Verantwortung, nicht rechtzeitig und entschlossen genug gegen diese Tendenzen aufgetreten und vorgegangen zu sein.

Im März 1933 nützten Dollfuß und sein Justizminister und späterer Nachfolger als faschistische Diktator, Kurt Schuschnigg, eine parlamentarische Geschäftsordnungslücke, um den Nationalrat auszuschalten und in weiterer Folge mittels des „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes“ von 1917 per Verordnungen auch legislative Aufgaben zu übernehmen, was einen klaren Verfassungsbruch darstellte. Ein erneutes Zusammentreten des Nationalrats, das Sozialdemokraten und Großdeutsche versuchten, wurde durch die Polizei unterbunden. Es handelte sich hierbei somit um einen Staatsstreich „von oben“, den auch der christlichsoziale Bundespräsident Miklas mittrug.

Damit lag bereits ein autoritäres Regime vor, das weitere Faschisierungsmaßnahmen umsetzte: Im Mai 1933 wurden der Schutzbund und die KPÖ verboten, die sozialdemokratische „Arbeiterzeitung“ wurde unter Zensur gestellt, Maiaufmärsche wurden untersagt. Gleichzeitig wurde seitens des Regimes als künftige faschistische Einheitspartei die „Vaterländische Front“ geschaffen, die Heimwehr wurde als „Freiwilliges Schutzkorps“ mit quasi-polizeilichen Aufgaben betraut und gezielt in Industrieorten stationiert. Der Verfassungsgerichtshof wurde lahmgelegt, während mit der Ausarbeitung einer faschistischen „ständestaatlichen“ Verfassung begonnen wurde.

Im Jänner 1934 gingen Polizei, Gendarmerie und „Schutzkorps“ daran, systematisch nach Waffenverstecken des Schutzbundes zu suchen, um diesen vorsorglich kampfunfähig zu machen. Anfang Februar wurden in allen Bundesländern außer Wien auf Initiative der Heimwehr „Landesausschüsse“ als neue faschistische Machtorgane installiert.

Die Führung der Sozialdemokratie hatte all dem nichts entgegenzusetzen, während es an der Basis der Partei und des Schutzbundes immer unruhiger wurde: Viele Arbeiter vertraten die Ansicht, dass man der weiteren Faschisierung endlich energisch entgegentreten müsse, womit sie sich auch den Positionen der KPÖ annäherten. Eine Gruppe oberösterreichischer Sozialdemokraten gelangte von dieser Ansicht schließlich als erste zur Tat.

In Linz begann am Morgen des 12. Februar 1934 der bewaffnete Aufstandsversuch, seine Zentren lagen in Oberösterreich, Wien und der Steiermark. Trotz heroischen Widerstands und einiger offensiver Erfolge (z.B. in Bruck/Mur oder in Wien-Floridsdorf) brachten Armee, Polizei und Heimwehr die Lage binnen weniger Tage – vielerorts noch am selben Tag – unter Kontrolle. Die Erhebung der österreichischen Arbeiter gegen den Faschismus wurde von diesem militärisch umfassend niedergeschlagen.

Die Februarkämpfe kosteten die Arbeiterbewegung etwa 200 Todesopfer und fast doppelt so viele Verwundete, auf Seiten der Regierungstruppen kamen 128 Menschen ums Leben – die offiziellen Angaben des Regimes lagen etwas darunter. Während und nach den Kämpfen wurden nach dem Standrecht 24 Todesurteile gegen Schutzbundangehörige und Arbeiter gefällt, neun dieser Urteile wurden auch vollstreckt. Tausende Februarkämpfer, Gewerkschafter und Arbeiterfunktionäre wurden verhaftet, etwa 1.200 wurden zu Kerkerstrafen verurteilt. Und hunderte Menschen wurden im Gefolge der Februarkämpfe in die „Anhaltelager“ des austrofaschistischen Regimes  verschleppt: Im „Anhaltelager“ Wöllersdorf befanden sich mit 1. Mai 1934 über 500  Sozialdemokraten und Kommunisten.

Dass die kämpfenden Arbeiter im Februar 1934 eine Niederlage erlitten, lag nicht nur an der Übermacht des Bundesheeres, der Polizei und der Gendarmerie. Das Scheitern des Aufstandes hatte auch „innere“ Gründe, so hatte die jahrelange Politik des Zurückweichens durch die Sozialdemokratie denkbar schlechte Voraussetzungen geschaffen. Die Parteispitze und die „Kampfleitung“ erwiesen sich als überfordert und unfähig, den Aufstand, der ihnen allerdings auch von der Basis des Schutzbundes aufgezwungen war, zentral zu führen. So wurde der Generalstreik nicht durchgeführt, die Arbeiter wurden vielerorts nicht oder unzulänglich bewaffnet, mitunter begingen SP- und Schutzbundfunktionäre auch offenen Verrat. Wahrlich nicht zuletzt scheiterte der Aufstand aber auch an seiner falschen Defensivstrategie. Nötig wäre natürlich gewesen, dass die bewaffneten Arbeiter offensiv, konzentriert und koordiniert die Wiener Innenstadt angreifen, um dort wichtige Punkte und vor allem die Regierungsgebäude zu besetzen, sowie überall Bahnhöfe, Radioanlagen und Postgebäude einzunehmen. Das Verschanzen in den Arbeiterbezirken, in den eigenen Gebäuden und in den Gemeindebauten, das fast überall praktiziert wurde, bot den Regierungstruppen hingegen die Möglichkeit, die isolierten Kampfgruppen – eine nach der anderen – auszubomben und den Widerstand so zu brechen.

Das unmittelbare Ergebnis der Niederschlagung des Februaraufstandes bestand natürlich in der vollständigen Etablierung der austrofaschistischen Diktatur – formell wurde der „Ständestaat“ mit der „Maiverfassung“ vom 1. Mai 1934 konstituiert. Da mit reihte sich Österreich in die Reihe der faschistischen Staaten Europas ein, deren es in seiner unmittelbaren Nachbarschaft bereits drei gab: Hitler-Deutschland seit 1933, Mussolini-Italien und Horthy-Ungarn schon seit den 1920er Jahren – mit den beiden letzteren war das austrofaschistische Dollfuß- und Schuschnigg-Regime verbündet.

Die Sozialdemokratische Partei wurde verboten, ihre Mandatare wurden abgesetzt, ihre führenden Funktionäre verfolgt und (zumindest vorübergehend) inhaftiert, darunter Spitzenfunktionäre wie Karl Seitz, Karl Renner, Otto Glöckel oder Adolf Schärf. Anderen gelang die Flucht ins Ausland, so z.B. Otto Bauer und Julius Deutsch. In der Tschechoslowakei wurde durch Bauer das „Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten“ (ALÖS) gegründet. Wieder andere blieben in Österreich und organisierten den Widerstand gegen den Austrofaschismus in einer neue Struktur des „illegalen“ antifaschistischen Kampfes: Im Untergrund wurden die „Revolutionären Sozialisten“ (RS) aktiv, die zunächst unter Führung von Manfred Ackermann und Karl Hans Sailer, dann unter jener Joseph Buttingers standen.

Tausende SP-Mitglieder und Schutzbundangehörige (darunter z.B. Ferdinand Strasser), die vom Versagen der Sozialdemokratie enttäuscht waren, schlossen sich der schon seit 1933 illegalen KPÖ an, die sich ihrerseits im Rahmen ihrer Möglichkeiten an den Februarkämpfen beteiligt hatte, wenngleich sie den Zeitpunkt für ungünstig gehalten hatte. Binnen kurzer Zeit nach dem Februar 1934 vervierfachte sich auf diese Weise der Mitgliederstand der KPÖ, wodurch sie ausgerechnet in der Zeit der Illegalität erstmals zu einer Partei mit Massenanhang und Masseneinfluss wurde. Somit wurde die KPÖ, erst recht nach der Kapitulation der RS im Jahre 1938, auch zur wichtigsten Säule des antifaschistischen Widerstandes in Österreich 1934-1945.

Eine bedeutende Zahl ehemaliger Schutzbundmitglieder ging ins Exil (u.a. in die Sowjetunion) und kehrte erst 1945 zurück, andere kämpften in den Reihen der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 gegen den Faschismus – der Großteil davon im hauptsächlich österreichischen Bataillon „12. Februar“ der XI. Brigade („Thälmann-Brigade“).

Ein historisch besonders folgenreiches Resultat der Februarkämpfe und der Errichtung der austrofaschistischen Diktatur bestand zudem in der Schwächung Österreichs gegenüber dem Druck und Annexionsbestrebungen seitens des NS-faschistischen Deutschlands. Auch die Propaganda der österreichischen Nazis fiel nun zunehmend leichter auf fruchtbaren Boden. Dass im März 1938 die deutsche Wehrmacht Österreich besetzen konnte, ohne auf militärischen Widerstand zu stoßen, hatte somit seine Ursachen auch in den Jahren 1933/34-1938: Ein demokratisches Österreich hätte mit einer kampfbereiten Arbeiterklasse und einer legalen Arbeiterbewegung gewiss andere Verteidigungsmöglichkeiten gehabt als die austrofaschistische Diktatur, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurde. Und so wurden mit einer gewissen inneren Folgerichtigkeit die Christlichsozialen und die Heimwehrbewegung zu den Totengräbern Österreichs, ungeachtet der Tatsache, dass neben Kommunisten, Sozialdemokraten und slowenischen Partisanen auch christliche Demokraten ihren verdienstvollen Anteil am Widerstand gegen den NS-Faschismus 1938-1945 hatten. Trotzdem ist festzuhalten, dass die politischen Erben und Fortführer der christlichsozialen Bewegung, die personell auch in einiger Kontinuität des Austrofaschismus  standen (Leopold Figl, Julius Raab, Alfons Gorbach und Josef Klaus – in dieser Reihenfolge ÖVP-Bundeskanzler 1945-1970 – waren durchwegs austrofaschistische Funktionäre und Amtsträger gewesen), bis heute eine klare Distanzierung von den Verbrechen ihrer Bewegung vermissen lassen – im Gegenteil: In Teilen der ÖVP wird sogar der Arbeitermörder und faschistische Diktator Dollfuß – verklärt zum antinationalsozialistischen (und mitunter „antibolschewistischen“) „Widerstandskämpfer“ – bis heute verehrt.

Auch wenn sich unterm Strich nur ein kleiner Teil der österreichischen Arbeiterklasse an den Februarkämpfen beteiligte, so markiert dieser Aufstandsversuch dennoch eine historische Tat von nicht zu unterschätzender Dimension. Die österreichischen Arbeiter – Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Kommunisten – waren nach dem Septemberaufstand 1923 in Bulgarien die ersten in Europa, die sich mit der Waffe in der Hand dem Faschismus entgegenstellten. Dieses Verdienst bleibt unauslöschbar – und in dieser Tradition kämpften viele Arbeiter auch weiter gegen die faschistischen Diktaturen, bis Österreich 1945 befreit wurde.


Bereits im Vorjahr erschien Tibor Zenkers ausführlichere Arbeit „Februar 1934 – Österreichs Arbeiter im bewaffneten Widerstand gegen den Faschismus“ im Verlag des KZ-Verbandes.

Titelbild: Für die Opfer des Februar 1934 auf dem Meidlinger Friedhof in Wien (public domain)

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