„Warum nehmt ihr nicht Flüchtlinge bei euch zu Hause auf?“
Eines der perfidesten „Argumente“ von Flüchtlingsgegnern ist die Frage nach der Aufnahme von Schutzsuchenden in den eigenen vier Wänden, weil man „doch eh so narrisch solidarisch“ sei. Perfide deshalb, weil es einerseits den Kern der Problematik völlig übersieht, andererseits aber auch jene, die grundsätzlich positiv zum Recht auf Asyl eingestellt sind, durchaus in die Zwickmühle bringen kann.
Asylkalender, 18. Dezember 2015.
Grundsätzlich gilt: Die Versorgung und Unterbringung von Asylsuchenden ist Aufgabe des jeweiligen Staates. Die Genfer Flüchtlingskonvention legt klar fest, wer ein Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten. Wir zahlen Steuern an den Staat, damit dieser seine Arbeit gewissenhaft erledigt.
Wo kämen wir hin, wenn staatliche Aufgaben einfach auf die Privatebene verschoben werden? So könnte man der Frage nach der privaten Aufnahme von Flüchtlingen auch entgegnen: Warum asphaltierst du dir deine Straße nicht selbst? Warum darf das überfüllte Krankenhaus nicht ein paar Spitalbetten in deiner Wohnung aufstellen? Oder: Warum unterrichtest du deine Kinder nicht zu Hause? – wobei man diese Gegenfrage bei manchen lieber auslassen sollte.
Und dennoch bringt die Frage nach dem persönlichen Engagement für Flüchtlinge manche ins Dilemma. Während sich zahlreiche freiwillige Helfer bis zur körperlichen Erschöpfung in Asylunterkünften oder an Bahnhöfen für die Schutzsuchenden aufopfern, begnügen sich viele mit Appellen und Petitionen an den Staat. Könnte nicht auch jeder von uns mehr tun? Gäbe es bei mir nicht doch ausreichend Platz, um verzweifelten Menschen eine Herberge zu geben?
Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass dies nicht immer so einfach ist. Im Zuge der Balkankriege Anfang der 1990er-Jahre kamen Kriegsflüchtlinge auch in unseren Ort. Anfangs wurden sie im Pfarrhof untergebracht, doch auf engstem Raum kam es schnell zu Konflikten. Schließlich entschieden meine Eltern eine 5-köpfige bosnische Familie in unserem – zugegeben großen – Haus unterzubringen. Für mich als Teenager, der deshalb für lange Zeit sein Jugendzimmer aufgeben musste, war das alles andere als erfreulich. Mein „Luxusleben“ und meine so liebgewonnene kleine Freiheit wurden eingeschränkt. „Wie unfair!“, dachte sich der kleine Michi damals. Heute ist Michael stolz auf seine Eltern, weil sie ihm hautnah gezeigt haben, was Zusammenrücken und Solidarität bedeutet.
Text und Fotos: Michael Wögerer. Die Fotos zeigen die Flüchtlinge in Winklarn (Niederösterreich) und den „kleinen Michi“ (o.l.).
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