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Erinnerung an „Kop“

Vor 50 Jahren starb der langjährige KPÖ-Vorsitzende Johann Koplenig. Als einem der vier Unterzeichner der österreichischen Unabhängigkeitserklärung könnte ihm schon bald ein Platz in Wien gewidmet werden.

Eine biographische Skizze von Danijel Jamrič

Der 2012 verstorbene britische Historiker Eric Hobsbawm will herausgefunden haben, wieso politischer Radikalismus unter Schuhmachern besonders hoch ist – wieso also der Schuster nicht bei seinen Leisten bleiben will – und geht in seinem Buch über „Ungewöhnliche Menschen“ von der Annahme aus, dass die relativ leichte Arbeit in Sitzposition gedankliche Ausschweifungen in das Reich der Utopie erlaube, wodurch sich die Schuster-Zunft früher oder später auch dem revolutionärem Gedankengut widmen könne.

Johann Koplenig nahm an der Oktoberrevolution 1917 in Russland teil. 1945 baute er als KPÖ-Vorsitzender, Vizekanzler und Nationalratsabgeordneter die Zweite Republik mit auf. (Bildquelle: Volksstimme, 21. April 1946)

Mit dieser Hypothese kann es nun wirklich jeder halten, wie er will. Auf den 1891 in Kärnten geborenen und aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Johann Koplenig dürfte Hobsbawms Annahme jedenfalls zutreffen. Nach lediglich zwei Jahren Volksschule musste der junge Koplenig in die Lehre gehen und wurde Schuster.

Wie viele Lohnabhängige mit Klassenbewusstsein, trat auch der junge Arbeiter vor dem Ersten Weltkrieg der Sozialdemokratischen Partei bei. Nach seiner Ankunft im steirischen Judenburg organisierte Koplenig 1911 einen Streik der Schuhmacher – was direkt zu seiner Entlassung führte und ihn nach Knittelfeld verschlug, wo er mit der Gründung des „Verbandes jugendlicher Arbeiter Österreichs“ weiter den Unmut der regionalen Unternehmerschaft auf sich zog.

Wenige Jahre später begann der Erste Weltkrieg, in den Koplenig als Soldat einrücken musste. Man darf wohl von Glück im Unglück sprechen, dass er noch im ersten Kriegsjahr in russische Gefangenschaft geriet – denn dort lernte er die Ideen des Kommunismus kennen. Von der sozialdemokratischen Parteiführung, die die Kriegspolitik der Monarchie unterstütze, hatte sich Koplenig – wie viele andere Genossen – losgesagt. Im Zuge der russischen Oktoberrevolution 1917 arbeitete er stattdessen für die Bolschewistische Partei, deren Ideale er wenige Jahre später nach Österreich überliefern sollte: 1920 nahm der Heimkehrer – von seinen GenossInnen wurde Koplenig einfach „Kop“ genannt – die Arbeit für die junge KPÖ auf, zuerst als Landesparteisekretär in der Steiermark, später als leitender Sekretär der Bundespartei.

Bekanntheit erlangte der kommunistische Politiker nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Zuge des Wiener Justizpalastbrandes von 1927: als sich Koplenig wegen „aufwiegelnder“ Reden vor Gericht wiederfand, drohte er in seiner Verteidigung, die Regierung und die Polizei des Mordes anzuklagen – tatsächlich starben im Zuge der Kämpfe 84 DemonstrantInnen. Nach seinem öffentlichkeitswirksamen Auftritt vor Gericht wurde “Kop” aus der Haft entlassen.

Trotzdem gab es keinen Grund zum Optimismus. War doch nicht nur die erhoffte politische Entwicklung Österreichs hin zur Volksrepublik fehlgeschlagen, so fanden sich Koplenig und GenossInnen nach 1927 in einer Situation der immer mehr spürbaren Faschisierung von Politik und Gesellschaft wieder. Da Koplenig mit einer Jüdin (Hilde Koplenig, geb. Oppenheim) verheiratet war, wurde er oft Zeuge der antisemitischen Ausschreitungen im Österreich der Zwischenkriegszeit. 1933 verbot der austrofaschistische Kanzler Engelbert Dollfuß als erste aller Parteien die KPÖ, die sich in den folgenden zwölf Jahren im Untergrund befand.

Den Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 kommentierte der mittlerweile zum Staatsfeind erklärte Kommunist folgendermaßen:

„Für das österreichische Volk ist der Kampf um seine Unabhängigkeit nicht zu Ende. Es wird niemals eine ihm aufgezwungene Fremdherrschaft anerkennen. So schwer sich auch in der nächsten Zeit sein Schicksal gestalten mag, der Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs wird aufs Neue entbrennen.“

Noch im selben Jahr floh „Kop“ nach Prag, später nach Paris und schließlich nach Moskau. In allen Exil-Ländern setzte er sich für ein freies, unabhängiges Österreich ein, etwa als Referent bei Antifaschismuskursen in Kriegsgefangenenlagern.

Als Josef Stalin 1945 den sozialdemokratischen Politiker Karl Renner mit der österreichischen Regierungsbildung beauftragte, wurde Johann Koplenig als Vorsitzender der KPÖ zum Staatssekretär bestimmt, der die Funktion des Vizekanzlers übernahm. Am 27. April 1945 präsentierten Politiker der drei Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ die Österreichische Unabhängigkeitserklärung, bei deren Erarbeitung Koplenig maßgeblich beteiligt war. 14 Jahre lang saß „Kop“ im österreichischen Nationalrat, wo er sich als Vorsitzender der KPÖ nicht nur für die Arbeiterschaft, sondern auch für Minderheiten- und Frauenrechte einsetzte. Mit den wieder im Parlament vertretenen Alt-Nazis lieferte er sich heftige Wortgefechte. Dass Koplenig schon unmittelbar nach Kriegsende von der Mitschuld Österreichs am Krieg zu sprechen begann, bescherte ihm in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft der Nachkriegszeit unterirdische Sympathiewerte. Die antikommunistische Stimmung führte 1959 schließlich zum Ausscheiden der KPÖ aus dem Nationalrat.

Die Entwicklungen in der Tschechoslowakei und der Sowjetunion – Stichwort Prager Frühling – sowie die daraus resultierenden Zerwürfnisse innerhalb der KPÖ waren nicht nur Koplenig ein Dorn im Auge. Viele GenossInnen – darunter der Parteiintellektuelle Ernst Fischer – zeigten sich enttäuscht über die Moskauer Führung und verließen die KPÖ im Groll. Offiziell beteuerte Koplenig seine uneingeschränkte Solidarität mit dem Sowjetstaat, hinter dem Vorhang hingegen verlieh er immer wieder seinem Unmut Ausdruck, sobald ein Gespräch auf die Entwicklung der sozialistischen Länder kam. Inmitten dieser stürmischen Zeiten verstarb Koplenig am 13. Dezember 1968 in Wien. Noch kurz vor seinem Tod verlieh ihm der sowjetrussische Botschafter den Lenin-Orden, der als die höchste Auszeichnung der Sowjetunion galt.

Diese Zeilen sind nur ein allzu grober Umriss der Biographie des Politikers Johann Koplenig. 50 Jahre nach seinem Tod auf ein politische Erbe zu blicken, ist ein schwieriges Unterfangen, in zweierlei Hinsicht. Erstens: als wäre Koplenigs politische Heimat in Österreich im Jahre 2018 nicht ohnehin klein genug, ist sie auch noch zersplittert – dementsprechend fehlt ihr die politische Schlagkraft. Zweitens: laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 haben 98 Prozent der unter 30-jährigen Österreicher den Namen Johann Koplenig noch nie gehört. Diese Tatsache sagt bei weitem weniger über Koplenigs tatsächliche Verdienste aus als vielmehr über ein mangelhaftes zeitgeschichtliches Bewusstsein in Österreich.

Doch es gibt auch Schritte in die richtige Richtung: erst vor wenigen Tagen haben Bezirkspolitiker des Wiener Gemeindebezirks Brigittenau beschlossen, einen Platz nach Johann Koplenig zu benennen. Eine Ehrung, die bislang allen anderen Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung – Karl Renner, Adolf Schärf und Leopold Kunschak – zuteil wurde, ist somit endlich auch für den kommunistischen Politiker angedacht. Der zukünftige Johann-Koplenig-Platz soll vor dem ehemaligen KPÖ-Verlagsgebäude am Höchstädtplatz liegen, so der Beschluss des Gemeinderates. Ob und wann dieser Beschluss wirklich vom zuständigen Magistrat umgesetzt werden wird, steht derzeit noch nicht fest – ein positives Signal für eine würdige Erinnerung an einen antifaschistischen Widerstandskämpfer und österreichischen „Arbeiterführer“ ist es allemal.

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