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Bernhards musikalische Rumpelkammer: FEBRUAR 2019

Zwar haben im Februar einige größere Bands neue Alben veröffentlicht, es gab aber nicht dieses eine Album, auf das man sich schon Monate vorher gefreut hat. Umso größer die Überraschung über die Qualität, die dieser Musikmonat einmal mehr hervorgebracht hat; dieses Mal verstärkt aus Frankreich. Besonders bisher noch unbekannte Bands konnten sehr überzeugen, wobei auch die Vielfalt der Genres eine besondere Erwähnung verdient. Zwischen Post Hardcore, Pop, Folk, Soul und Ska ist quasi für alle etwas dabei – und eine wirkliche Enttäuschung gab es 2019 auch noch nicht. So kann es weitergehen.

TOP 5

  1.      Pensées Nocturnes – Grand Guignol Orchestra
  2.      Quentin Sauvé – Whatever It Takes
  3.      Yann Tiersen – All
  4.      Hexvessel – All Tree
  5.      Chiefland – Wildflowers

Der Zirkus des musikalischen Wahnsinns ist zurück: PENSÉES NOCTURNES veröffentlich mit „Grand Guignol Orchestra” ihr sechstes Album. Grundsätzlich im Metal verankert, passiert darauf so viel gleichzeitig, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Schunkelnde Akkordeontöne treffen auf beschwipste Südstatten-Bläser, brachiale Blastbeats vermengen sich mit manischem Gebrüll und pathetischem Gesang, kombiniert mit der Tradition des Chansons – verortet auf einem Jahrmarkt inmitten der Apokalypse. Was die Franzosen hier abliefern, ist so überfordernd wie genial.

Anspieltipp:


QUENTIN SAUVÉ könnte einigen als Bassist der Screamo-Band Birds In Row bekannt sein. Auf seinem Solodebüt „Whatever It Takes“ zeigt der französische Musiker seine zerbrechliche Seite. Tieftraurige Texte, vorgetragen auf Englisch mit französischem Einschlag werden von einer melancholischen und dennoch beschwingten Stimmung gerahmt. Beim ersten Hören noch recht unauffällig, offenbart das Album nach und nach seine Tiefe, die sich auch im dezenten Einsatz von Effekten und elektronischen Elementen zeigt. Ein unglaublich intensives, schmerzhaft-schönes Album.

Anspieltipp:


YANN TIERSEN ist schon lange mehr als nur der Mann hinter dem Soundtrack von „Amélie“. Sein neues Album „All” vermengt eine postrockig angelegte, elfenhafte Stimmung, die die von Soundcollagen unterlegten neoklassischen und ambientlasigen Kompositionen dominiert. Immer wieder ruft der französische Musiker damit Assoziationen zu Sigur Rós zu „Takk…“-Zeiten hervor. Musikalisch ist das Ergebnis nicht überraschend oder außergewöhnlich, zieht einen allerdings zur Gänze in seinen verträumten und stellenweise regelrecht magischen Bann.

Anspieltipp:


HEXVESSEL erzeugen auf ihrem neuen Album „All Tree” eine ganz eigene Stimmung. Musikalisch im Neofolk angesiedelt, spielen auch Alternative und Country eine Rolle. Eingängige Akustikgitarren und ein minimalistisches Schlagzeug werden von traurigen Geigen und Flöten unterstützt, Mat McNerneys zarter Gesang legt sich beinahe verträumt darüber. Den besonderen Charakter erhält die Musik durch die an (Black-)Metal erinnernden (Dis-)Harmonien. „All Tree“ überzeugt in seiner natürlichen, sehr zurückgenommen Kammer-Atmosphäre mit einer beinahe esoterischen Intensität.

Anspieltipp:


CHIEFLAND machen es sich mit ihrem Debüt „Wildflowers” nicht einfach. Das Genre des Post Hardcore ist zwar in sich vielseitig, die Nische die die Band aus Göttingen hier einschlägt aber schon von vielen sehr guten und leider auch belanglosen Bands belegt. Verträumte Melodien treffen auf knackige Riffs, ruhige Momente auf heftige Ausbrüche. Sehnsüchtiges Schreien wird von atemlosen Spoken-Word-Passagen unterbrochen. Das Ergebnis ist ein mitreißendes Album, das zwar nicht überrascht, aber einen eigenen, überzeugenden Stil besitzt und mit seiner umwerfenden Emotionalität begeistert.

Anspieltipp:


Außerdem:

KARLSSON machen es sich mit ihrem Debütalbum „Rauhfaseridyll“ in der aktuell an tollen Bands nicht armen Indiepunk-Ecke bequem. Die Band aus Köln spielt eine eingängige Mischung aus Indierock, mit einer Prise Punk und streut an einigen Stellen auch ein bisschen Geschrei ein. Dabei können die Musiker mit tollen Texten und viel Gespür für Dynamik und Melodie überzeugen. Leider ist das Album für den Sound schon beinahe zu glatt produziert, und auch der Gesang klingt oft fast eine Spur zu brav. Die Größen des Genres erreichen Karlsson noch nicht, liefern aber ein emphatisches Statement ab.


Kaum zu glauben, dass BEIRUT mit „Gallipoli“ erst ihr fünftes Album veröffentlichen, wirkt es doch so, als wäre die Band um Sänger Zach Condon schon seit Jahrzehnten da. Entsprechend souverän klingt das neue Release, das den Brückenschlag zwischen minimalistischem Folksound und der ganz großen Geste wagt. So zurückgenommen die Arrangements an manchen Stellen sind, so orchestral klingen die Bläsersätze. Die gleichzeitig hoffnungsvolle und melancholische Stimmung des Albums wird vom verschüchterten, sehnsüchtigen Gesang perfekt unterstützt.


MILLENCOLIN sind ein weiterer Beweist für altgediente Punkrock-Bands, die an Früher erinnern, aber trotz weniger Soundveränderungen auch 2019 nicht aus der Zeit gefallen klingen. Auf ihrem neuen Album „SOS” liefern die Schweden alle ihre bekannten Trademarks ab: Eingängige, poppige Gitarrenmelodien, politische Texte und treibende Energie machen auch auf dem neunten Album der Band eine Menge Spaß. Große Überraschungen bleiben aus, mit einem tollen Coverdesign und guter Laune im Gepäck liefern Milllencolin einen weiteren Soundtrack für sonnige Tage auf dem Skateboard.


DOWNFALL OF GAIA haben sich mit ihrer düsteren Mischung aus Black Metal, Hardcore und Post Metal in den letzten Jahren eine stetig wachsende Fangemeinde erspielt. Ihr viertes Album „Ethic Of Radical Finitude“ wird diese noch einmal anwachsen lassen. Die Musiker setzen erneut ganz auf Atmosphäre, das tiefe Keifen von Sänger Anton untermalt die nihilistischen Melodien und brachialen Explosionen perfekt, die sich mit ruhigen, scheinbar endlos weiten Klangflächen abwechseln. Trotz wenig Abwechslung auf die gesamte Spielzeit ein packendes, mitreißendes Album.


Dass Livealben meistens etwas für Liebhaber sind, weiß auch NATHAN GRAY. Mit dem Doppel-Livealbum „Live At Ringkirche Wiesbaden / Live At Iserlohn” bietet der Sänger mehr als 200 Minuten Material. Die beiden Shows an besonderen Orten unterscheiden sich zwar kaum in der Setlist – die persönliche Geschichte Nathan Gray mit seinen Songs und den langen, intensiven und ehrlichen Ansagen erzählt, machen das allerdings mehr als wett. In der Kombination mit einer minimalistischen Besetzung entsteht so eine fast schon schmerzliche Unmittelbarkeit.


Nachdem BILDERBUCH Ende letzten Jahres mit „mea culpa“ ein neues Album veröffentlichten, erscheint mit „Vernissage My Heart“ der nächste Streich. Die Österreicher klingen darauf weiterhin unverwechselbar: Bassige Klangflächen, funky Calypso-Rhythmen, Autotune und minimalistische Gitarrenriffs gehen eine trotz aller Unvereinbarkeiten schlüssige Symbiose ein. Auch auf eine gehörige Portion Dada muss nicht verzichtet werden. Die Band überzeugt einmal mehr mit ihrem unberechenbaren Konzept und verschiebt die Grenzen ihres Sounds weiter nach außen.


ARIANA GRANDE hat eine beeindruckende Entwicklung durchgemacht, die in „thank u, next” einen bisherigen Höhepunkt findet. Stimmlich war die sie schon immer ein Ausnahmetalent. Die geradlinigen Popsongs, die für sie produziert wurden, wurden ihrem Talent allerdings nur selten gerecht. „thank u, next“ wartet nun mit minimalistischen R’n’B-Produktionen auf, die oft von gewöhnlichen Radio-Pop-Formaten abweichen und verstärkt auf Ariana Grandes Rapfähigkeiten setzen. Spätestens jetzt hat die erst 25 Jahre alte Sängerin an die Spitze des Genres aufgeschlossen. Ein richtig starkes Pop-Album.


NEÀNDER spielen auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum mit den verschiedenen Spielarten des atmosphärischen Metal. Rein instrumental gehalten, kreiert die Band aus Berlin weite Klangflächen, die von groovigen Riffs gestützt werden. Dabei wechseln sich Eingängigkeit und Brachialität ab, Post Rock trifft auf Blastbeats. Immer wieder blitzen großartige Momente auf, die das Potenzial der Band erahnen lassen und an Helden des Genres wie Pelican oder Omega Massif erinnern. Sowohl in Sachen Songwriting als auch Produktion haben neànder aber noch Potenzial nach oben.


FRITTENBUDE aus Vilsbiburg waren anscheinend öfter im Münchner Elektroclub „Rote Sonne“. Dafür spricht nicht nur der Name ihres neuen Albums, sondern auch der darauf enthaltene Sound. Viel geändert hat sich nicht: Es dominieren straighte Beats, 80s-Synthiesound, monotoner Sprechgesang und eine ordentlichen Prise Indie der 2000er-Generation. Textlich widmen sich die Musiker nach wie vor politischen und persönlichem Themen. Weit weg von enttäuschend, kann die als Ganzes recht unspektakuläre Platte nicht mit dem Übersong „Die Dunkelheit darf niemals siegen“ mithalten.


Die Welle an Comebacks geht weiter: Anfang 2019 legt die 2-Tone-Ska-Legende THE SPECIALS mit „Encore“ tatsächlich ein neues Album vor. Motiviert vom Brexit-Chaos und dem zunehmenden Rassismus und Sexismus in ihrem Heimatland sind die zehn neuen Stücke hochgradig politisch. Musikalisch bleibt die Band beinahe durchgängig im Midtempo, wobei sich Ska, Reggae und Funk abwechseln. Zwar ist die Produktion deutlich druckvoller als auf früheren Veröffentlichungen, musikalisch plätschert das Ganze trotz starker Texte allerdings recht unspektakulär dahin.


Alle diejenigen, die sich die Diskografie-Komplettbox „Seitenhirsch“ von DIE ÄRZTE nicht leisten können oder wollen, haben mit „They’ve Given Me Schrott!“ die Chance, die bisher unveröffentlichten Nummern gebündelt erwerben zu können. Viele Demoversionen zeigen, wie bekannte Nummern entstanden sind, während das englischsprachige Album beweist, dass die Band nur auf Deutsch funktioniert. Dazwischen findet sich viel Ausschussware, aber auch einige Momente, die laut auflachen lassen und den herrlichen Blödsinn dieser Band hervorheben.


AVRIL LAVIGNE war schon immer eine gut vermarktete Popkünstlerin – so radiofreundlich und langweilig wie auf „Head Above Water“ klang sie allerdings noch nie. Ein bisschen Akustik hier, eine Powerballade nach der anderen dort, dazu eine elektronische, dramatische, groß produzierte Produktion: Es gibt vieles, was dieses Album unspektakulär macht. Dennoch tauchen in der Gleichförmigkeit immer wieder tolle Melodien auf, Avril Lavignes Gesang ist deutlich besser als früher – und schließlich ist Radiopop wohl die schlüssige Konsequenz aus ihrer bisherigen Karriere. Schade.


Bernhard Landkammer schreibt auch für metal1.info. Dort könnt ihr weitere Rezensionen und teilweise ausführlichere Meinungen zu den hier besprochenen Alben lesen.

Bisher:

Titelbild: Bernhard Landkammer/Unsere Zeitung

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