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Überwachte Kommunikation und die Folgen für die Freiheit

Der Journalist Glenn Greenwald beschreibt das umfassende Überwachungsnetz der digitalen Kommunikation durch die Geheimdienste – allen voran der NSA.Sonntag ist Büchertag

Rezensiert von Haidy Damm / kritisch-lsen.de

Glenn Greenwald hatte Edward Snowden ziemlich lange auf seinen Informationen sitzengelassen, einfach, weil er über Monate vertrödelte, sich mit Verschlüsselung zu befassen. Erst als seine Kollegin Laura Poitras sich an den Journalisten wandte, nahm er die bei ihm aufgelaufenen Emails ernst. Dann ging alles ganz schnell. Soweit der aus heutiger Sicht amüsantere Teil des Buches „Die globale Überwachung“. Greenwald beschreibt darin sowohl seine persönliche Geschichte mit dem Whistleblower als auch die verschiedenen Programme, mit denen die National Security Agency – kurz NSA – und ihre befreundeten Nachrichtendienste global alles sammeln, ausforschen und auswerten, was ihnen an digitaler Kommunikation in die Hände fällt.

Doch zunächst betrachtet Greenwald die Bedeutung des Internets grundsätzlicher: „Insbesondere für die jüngere Generation ist das Internet keine Domäne, die nur für bestimmte Zwecke benutzt wird. Es ist nicht nur unser Postamt und unser Telefon, sondern das Epizentrum unserer Welt – der Ort, wo sich praktisch das ganze Leben abspielt“ (S. 15), schreibt Greenwald am Anfang des Buches.

„Im Internet werden Freundschaften geschlossen, Lektüre und Filme ausgewählt. Politische Aktionen organisiert, die privatesten Daten erstellt und gespeichert. Dort entwickeln wir unsere Persönlichkeit und unser Selbstgefühl und bringen es zum Ausdruck“ (S. 15).

Das kann mensch bedauern oder in die Haltung verfallen, die unbedarften Nutzer seien selbst Schuld. Dieser Blickwinkel ist jedoch Voraussetzung für Greenwalds Empörung. Er argumentiert dabei nicht allein auf der Ebene bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit, sondern hebt den immanenten Willen des Staates zur Überwachung heraus.

Angenehm ist, dass Greenwald Kontinuitäten etwa zur McCarthy-Ära aufzeigt. Damit bleibt das Buch nicht geschichtslos, wie es häufig in bürgerlichen Medien der Fall ist. Im Gegenteil. Durch die historischen Vergleiche werden das Ausmaß und besonders die Zielsetzung der staatlichen Internetüberwachung nur deutlicher: „Dabei ist das Motiv stets dasselbe: die Unterdrückung jeglicher abweichenden Meinung und die Förderung von Wohlverhalten“ (S. 12).

Beim Ausforschen geht es nicht nur um die Verletzung der Privatsphäre. So spähte der enge Verbündete der NSA, der kanadische Geheimdienst Communications Services Establishment Canada (CSEC), das brasilianische Ministerium für Bergbau und Energie aus. Kanadas weltweit agierende Bergbauindustrie hatte an den Informationen ein besonderes Interesse. Auch wenn bisher nur Bruchteile der Überwachung der EU-Kommission und einiger europäischer Staaten bekannt sind, die Interessen der US-Regierung samt Konzerne an den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP dürften ein ähnliches Szenario bieten. Nach der ersten Welle der Empörung ist hierüber jedoch kaum noch etwas zu lesen, auch Greenwald behandelt diesen Spionageskandal nur am Rande.

Das Buch versteht sich auch als Plädoyer für einen Journalismus, der sich nicht vor lauter Abhängigkeit von der Regierung einschüchtern lässt und so zum reinen Sprachrohr verkommt. Bei all dem ist Greenwald allerdings nicht widerspruchsfrei: So zitiert er bevorzugt eben jene „Medien des Establishments“ (S. 85), denen er zu Recht vorwirft, Handlanger der Regierung zu sein. Außer ihm selbst kommen jedoch nur wenige unabhängige Blogger oder Medien vor.

Auch diejenigen, die weiter am Schutz der Privatsphäre arbeiten, finden kaum Beachtung. Unabhängige Server wie der Emailanbieter Lavabit, dessen Geschäftsführung den Laden lieber geschlossen hat, bevor er zur Zusammenarbeit mit der NSA gezogen wurde oder Serverinitiativen wie Riseup finden keine Erwähnung. So wie der Journalist sich wochenlang der Kommunikation mit Snowden verweigerte, so ignoriert er in dem Buch das kontinuierliche Arbeiten an technischen Lösungen zur Internetsicherheit. Leider stärkt er so die Haltung, die das ganze Buch durchzieht: Die NSA und andere Geheimdienste sind allmächtig.

Inhaltlich fasst Greenwald den bis zum Erscheinen bekannten Teil der Überwachungsprogramme informativ und gut lesbar zusammen, gespickt mit interner Kommunikation, die deutlich macht: Für Geheimdienste eröffnet das Internet einen Überwachungshimmel. Etwa durch Erweiterungen des Programms Xkeyscore, mit dem soziale Netzwerke wie Facebook ausspioniert werden. Geheimdienstler_innen zeigen sich in den veröffentlichten Emails begeistert von den Möglichkeiten eines Facebook-Sammelsystems, das eine „gute Chance zum Ausspähen unserer Ziele bietet – von der Ortung auf der Grundlage ihrer IP-Adressen und das User Agent bis hin zum Sammeln sämtlicher privater Kommunikation und zur Profilinformation“ (S. 230).

Die auch im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages immer wieder zur Sprache kommenden Metadaten werden bei Greenwald ausführlich behandelt. Wie in Europa sollen die US-amerikanischen Bürger_innen beruhigt werden mit der Aussage, das Sammeln von Metadaten stelle „keine Überwachung dar“, da „keine Inhalte der Kommunikation erfasst werden“ (S. 192). Für Greenwald ist diese Aussage „unredlich“ (ebd.). Denn: „Sie verschleiert die Tatsache, dass gerade die Überwachung von Metadaten mindestens einen genauso starken – und oft sogar stärkeren – Eingriff in die Privatsphäre darstellt wie das Abfangen von Inhalten“ (S. 193).

Damit sei die Regierung in der Lage, von den Bürger_innen ein verblüffend umfassendes Bild der Lebensweise, ihrer Verbindungen und Kontakte, ihrer Aktivitäten samt einiger der intimsten und privatesten Informationen zu erstellen.

Greenwald kann angesichts der Enthüllungen und der Abwiegelungen zu keinem anderen Schluss kommen, als dass die westlichen Regierungen sich entschieden hätten, ihre Bevölkerung umfassend zu kontrollieren, um ihre Macht zu sichern. Die Schere zwischen Arm und Reich habe zu „schwerer innenpolitischer Instabilität geführt“ (S. 252). Um Widerstand zu bekämpfen, sei ein System allgegenwärtiger Überwachung viel wirksamer als polizeiliche Gewalt, schreibt Greenwald zum Ende des Buches. Denn das Internet als Panoptikum erschwere nicht nur das Organisieren von Protesten: „Die Massenüberwachung erstickt jedes abweichende Verhalten auf einer tieferen und noch entscheidenderen Ebene: im Kopf“ (S. 253). Deshalb sei der Deal, den die Bürger_innen angeboten bekommen, möglichst unauffällig zu sein, um in Ruhe gelassen zu werden, eine Illusion. Denn: „Wer ständig unter Beobachtung steht und beurteilt wird, ist kein freier Mensch“ (S. 248).

Insgesamt geht es Greenwald weniger um den möglichen Schutz auf individueller Ebene als um die gesellschaftlichen Folgen. Dennoch ein überzeugendes Buch, das von politischen Analysen bis zu verständlichen Beschreibungen der verschiedenen Programme der NSA-Überwachung und ihrer Zielsetzungen die Konsequenzen globaler Überwachung deutlich macht.

Glenn Greenwald:
Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen.
Droemer, München, 2014
ISBN: 978-3-426-27635-8.
365 Seiten. 19,99 Euro

Der Beitrag erschien zuerst am 3. Jänner bei unserem Kooperationspartner kritisch-lesen.de unter der Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

Buchcover: droemer-knaur.de ; Titelbild: pexels.com (Lizenz: CC0)

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