AktuellGeschichteKultur

Blutiges Schuhwerk

Der Schuhhersteller Salamander hat es lange geleugnet, und doch ist es belegt: das Unternehmen hat in der Nazizeit Schuld auf sich geladen. – Sonntag ist Büchertag: „Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander“ (Vera Friedländer)

Von Anne Allex / kritisch-lesen.de

Vera Friedländer liefert eine spannende und faktenreiche Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte des Schuhherstellers Salamander in Kornwestheim (Baden-Württemberg). Aus den Schriften des Stadt- und Firmenhistorikers Hanspeter Sturm befördert sie unter Falschdarstellungen, Fehlinterpretationen und Auslassungen die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens Salamander zwischen 1933 und 1945 ans Tageslicht und vervollständigt diese durch eigene Quellenrecherchen.

1933 wird bereits die schrittweise „Arisierung“ des Unternehmensvorstands in Angriff genommen und die jüdischen KapitalgeberInnen kaltgestellt. Die Maßnahmen haben den gewünschten Effekt: Die Firma wird aus der Boykottliste der Nazis gestrichen. Die weitere Hinwendung der Firma an die Nazis zeitigt die Spende von 10.000 Reichsmark des Firmenchefs Alex Haffner zu Hitlers erstem Jubiläum als Reichskanzler. Gleich nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 und weit vor der Reichsprogromnacht 1938 „erwirbt“ die Salamander AG bereits gut gehende Schuhfirmen aus Offenbach und Speyer. Die Offenbacher J. Mayer & Söhne Leder AG ist zu diesem Zeitpunkt sechs Millionen Reichsmark wert, die Besitzer werden mit einer halben Millionen abgefunden. Das mag damals gerade gereicht haben, um ihr Vermögen aufzulösen und die Ausreise zu bewerkstelligen. Zudem „erwirbt“ Salamander die württembergische Schuhfabrik Faurndau GmbH und im Jahr 1937 Anteile der Gerberei Sihler & Co AG. Durch diese Einkäufe wird sie zu einem der größeren Schuhkonzerne neben der Freundenberg AG.

Die Autorin arbeitet anhand von Fakten heraus, dass neben der Ledergewinnung vor allem das Lederrecycling und die Gewinnung von Ersatzstoffen für Leder wichtige Schwerpunkte der Firmenpolitik waren. Sie beschreibt, wie Ledernachschub in großem Stil aus der Sowjetunion geraubt wurde. Dies war neben der Beschäftigung von mehr als 2.000 Kriegsgefangenen als ZwangsarbeiterInnen überwiegend aus Frankreich, Griechenland und weiteren 19 Nationen ein wichtiger Produktionsfaktor für den Erfolg des Unternehmens. Denn für geraubtes Leder fielen nur Transportkosten an, ZwangsarbeiterInnen waren billig. Hingegen konnte sie keine Informationen finden über die Wiederaufbereitung von Leder aus Schuhen, die ermordete jüdische Häftlinge verschiedener KZ zurück ließen, und die von Berliner JüdInnen, PolInnen und FranzösInnen in der Berlin aufgearbeitet wurden. Obwohl die Firma Salamander zunächst bestritt, damit etwas zu tun zu haben, konnte der Beweis mit Berliner Adressbüchern von 1937 erbracht werden, die die Salamander AG als Betreiberin eines Reparaturbetriebes in der Köpenicker Straße 6a ausweisen.

Entgegen anderslautender Behauptungen war Salamander ein kriegswichtiges Unternehmen: Denn Stiefel und Schuhe wurden nicht nur für die Wehrmacht im Krieg gebraucht, sondern auch für den Bau. Als nicht zweifelsfrei belegt, aber sehr wahrscheinlich gilt, dass Salamander auch Holzschuhe für Konzentrationslager produzierte. Gesichert ist jedenfalls, dass das Unternehmen als aufsteigender Schuhproduzent maßgeblich an der Testung von Ersatzstoffschuhen im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg beteiligt war. Der Firmenchef von Untertürkheim war Mitglied der Fachabteilung Lederfaserwerkstoff (FLWS). Dominant neben weiteren 76 Unternehmen waren in der FLWS die Konzerne Freudenberg und Salamander. Eine ihrer Aktivitäten war die Gebrauchswertprüfung von Schuhen durch Häftlinge, für die die Schuh- beziehungsweise Lederfirmen sechs Reichsmark pro Tag und Häftling an die SS zahlten. 1940 wurde dazu die berüchtigte „Schuhläuferstrecke“, eine halbrunde Laufbahn von 700 Metern mit acht bis zehn Meter Breite und abwechselnden Belägen von Beton, Schotter, Sand, feuchtem Lehm oder ähnlichem eingerichtet. Unterernährte Häftlinge mussten täglich elf Stunden lang mit 15 bis 30 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken bis zu 40 Kilometer auf dieser Strecke laufen. Das überlebten nur wenige. Etliche „Schuhläufer“ liefen sich nicht nur ihre Füße blutig, da sie oftmals zu kleine Schuhe testen mussten, sondern sie wurden nach ihrem Umfallen sofort von der SS erschossen. Das ist von einem der wenigen Überlebenden überliefert: Der damals 20 Jahre alte Holländer Josef Snep wies auch darauf hin, dass die Experten der Forschung und Entwicklung der Unternehmen sich direkt vor Ort die Ergebnisse des Laufens mit dem Schuhwerk aus Ersatzstoffen ansahen. Wenn die Direktoren der Lederbetriebe die Gebrauchsspuren und die Haltbarkeit der Schuhe besichtigen wollten, musste das Schuhkommando geschlossen vor der Schuhprüfstelle Aufstellung nehmen und die Schuhe ausziehen. Daher wussten auch die Vertreter von Salamander sehr genau, in welcher verbrecherischen und menschenverachtenden Form ihre Entwicklungen getestet wurden.

Vera Friedländer ist deshalb so sehr an dieser Unternehmensgeschichte interessiert, weil sie selbst als 16-Jährige Zwangsarbeiterin bei Salamander in Kreuzberg war. Sie ist Tochter einer Jüdin. Ihr Vater ließ sich während des Nationalsozialismus nicht scheiden, sondern ging zum Schutz seiner Familie zur Organisation Todt, um dort seine „Wehrwürdigkeit“ unter Beweis zu stellen. Friedländer wurde 1944 zur Zwangsarbeit im Reparaturbetrieb bei Salamander verpflichtet.

Nach einem friedlichen Leben in der DDR, dass ihr ein Studium der Germanistik und eine Professur ermöglichte, ist sie als Bundesbürgerin seit 1990 wieder mit rechtsextremistischen Entwicklung konfrontiert. In diesem Kontext erinnerte sie sich an ihre Jugend, und an die Fragen, die sie als junges Mädchen nicht auflösen konnte: Woher kommen die vielen Schuhe? Wer sind ihre BesitzerInnen? Warum sind die Schuhe nicht mit einer Nummer markiert, damit sie wieder abgeholt werden können? In ihren Recherchen stieß sie auf die Firma Salamander: Sie entdeckte, dass sich das Unternehmen mit einem Nichtverwickeltsein in die Naziherrschaft schmückte. Die Firma rühmte sich dessen, obwohl die Schuhproduktion kriegswichtig war und sie als eine der einflussreichsten Schuhproduzentinnen im damaligen „Dritten Reich“ dokumentiert ist. In der zweiten Hälfte ihres Buch entkräftet sie Hanspeter Sturms Legende von den „Schützenden Händen über unsere Juden“: Sie berichtet von der weitaus umfangreicheren jüdischen Bevölkerung in Kornwestheim und widerlegt halb- und unwahre Einzelaussagen des „Historikers“ Hanspeter Sturm. Vera Friedländers Buch ist deshalb großartig, weil es zur Aufdeckung der Methodik des Lügens zum Zwecke der Weißwaschung von deutschen Wirtschaftsunternehmen nach dem 2. Weltkrieg einen hervorragenden Beitrag leistet.

Vera Friedländer
Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander.
Das Neue Berlin, Berlin. 2016
ISBN: 978-3-360-01313-2.
224 Seiten. 14,99 Euro.

Der Beitrag erschien zuerst am 3. Jänner bei unserem Kooperationspartner kritisch-lesen.de unter der Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

Cover: Das Neue Berlin; Titelbild: Vera Friedländers Arbeitsbuch mit dem Stempel „Salamander A.-G. – Reparatur-Betrieb – Berlin SO 36, Köpenicker Str.  6a–7“ (Quelle: www.salamander-zwangsarbeit.de)

Bisher:

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.