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„Out Demons Out“ von Walter Kohl

Gelesen, gesehen und gehört von Andreas BulkerSonntag ist Büchertag

„Out Demons Out“ von Walter Kohl (Picus-Verlag)

Jener Schlachtruf, der maßgeblich zum Böse-Buben-Image der Edgar Broughton Band als einer rabiaten Politrockgruppe beitrug, liefert auch den Titel für Walter Kohls …, nun, nennen wir’s behelfsmäßig mal: Roman-Doppelbiographie. Denn je mehr man sich auf Kohls Werk einlässt, desto weniger lässt es sich schubladisieren. Ebenso wenig wie Werk und Leben Edgar Broughton’s, jenes die britische Rockmusik der späten 60‘ und frühen 70‘ prägenden Protagonisten der Band.

In lokalen Zeitungen angekündigte Gratiskonzerte, die umgehend von der Polizei verboten wurden und daraufhin mit Unterstützung der Fans erst recht abgehalten wurden, gipfelten stets in dem mit einem hämmernden Schlagzeugrhythmus beginnenden Song, in den sich sodann eine raues Bluesrock-Riff einmengt und mit seinen kreischenden, schrillen Klängen all der Wut und Verzweiflung über die gesellschaftlichen Zustände Ausdruck verleiht. Dazu brüllt Edgar im Namen der Freiheit Polizei, Behörden und dem System entgegen: „Raus mit euch, ihr Dämonen, raus!“ Das Publikum fällt von Edgar dirigiert in die Parole ein, was 1970 bei einem Konzert in Aachen sogar dazu geführt hatte, dass sich die auf den oberen Rängen – zur Ausforschung Marihuana-rauchender Jugendlicher – mit Ferngläsern und Funkgeräten ausgerüsteten Polizisten nach fünfzehnminütigem Gebrülle gezwungen sahen, das Stadion gedemütigt zu verlassen.

Das war es gewesen, was Charly, unschwer als Alter-Ego Walter Kohls zu erkennen, und dessen Bruder in jenen Jahren zu Fans der Edgar Broughton Band werden ließ. Dass hier eine Band am Werk war, die sich gegen die Vorherrschaft des Kapitals, welches mittels der Unterhaltungsindustrie ein profitables Geschäftsfeld geschaffen hatte und den Großteil der sich als rebellisch verstehenden Rockbands ihren Verwertungsgesetzen zu unterwerfen verstand, wehrte und sich weigerte für ihre Konzerte Geld zu verlangen. Keine zertrümmerten Hotelzimmer, Drogen- und Alkoholeskapaden oder Groupieverschleiß brachten der Edgar Broughton Band – die am besten Weg gewesen war mit ihren Gratiskonzerten das Popbusiness zu ruinieren – den Ruf der ultralinken Rockrüpel ein, sondern deren Auftreten gegen Kapitalismus, Krieg und Establishment.

Unzweifelhaft wählen halbwüchsige Jugendliche wie Charly und dessen Bruder eine Band noch nicht nach einem festgefügten Weltbild zum Objekt ihrer Verehrung. Vielmehr fügte sich das Weltbild der beiden Brüder erst ganz langsam aus einem diffusen Konglomerat von Lebensumständen, Gefühlen und Sehnsüchten, zu dessen Formatierung u.a. die Edgar Broughton Band als ein ganz wesentlicher Katalysator gedient hatte. Erstmals durch die deutsche Übertragung des Beat-Clubs aus dem TV-Programm, das in dem oberösterreichischen Dorf besser als das österreichische zu empfangen war, eingedrungen in die Köpfe der beiden Jungs. Charly und sein Bruder hatten sogleich erkannt, dass es hierbei um mehr ginge als bei den Tremoloes, Dave Dee, Dozy, Beaky Mick & Tich und wie sie sonst noch alle hießen.

„Magst du die Farbe Grün? Davon gibt’s massenhaft dort, wo du hingehst! Magst du kleine gelbe Menschen? Möchtest du nicht ein paar umlegen!? Möchtest du in den Krieg ziehen? Und der Junge in dem Lied „American Soldier Boy“ antwortet auf die Fragen immer wieder nur: Oh ja Sir, bitte Sir.“

Am Ende wird aus dem anschwellenden, den Dialog begleitenden Trommelwirbel ein nettes folkiges Lied, mit einem alles andere als netten Text. Der Junge wird mit zerschossenen Knochen nach Hause verfrachtet.

Dieses TV-Erlebnis bildet den chronologischen Beginn der Romanhandlung. Wie dieses Lied in das Dasein der Brüder hereingebrochen war und sie bewusst werden ließ, wie recht sie doch mit der Ahnung hatten, dass ihnen die Alten, das Fernsehen, die Jugendbücher, die Radiomoderatoren und die Religionslehrer etwas vorgelogen hatten in dieser Welt des kleinen oberösterreichischen Dorfes, wo sich niemand stieß an der Vergangenheit des Großbauern, wo niemand Fragen oder etwas infrage stellte.

„Die von den Nazis eingesetzten Stahlwerksdirektoren leiteten das Stahlwerk weiter, die Nazidichter dichteten weiter, die Naziredakteure redigierten weiter ihre Zeitungen, die Nazisportfunktionäre führten weiter ihre Vereine. Diejenigen von Hildas SS-Brüdern, die den Krieg überlebt hatten, trugen weiter Uniformen, nun halt jene der Polizei oder Justizwache.“

Zwischen diesem Beginn und dessen Ende, einem von Edgar Broughton in Charlys Haus im Mühlviertel gegebenen Privatkonzert zum Geburtstag dessen Bruders, kommen die Biografien Edgars und dessen Band, sowie die des Autors Walter Kohl mittels seines Alter-Egos Charly ans Tageslicht. Keineswegs in monotoner chronologischer Abfolge, sondern durch Schauplatz- und Zeitenwechsel kunstvoll ineinander verwoben, ohne dabei im Geringsten den Lesefluss zu beeinträchtigen.

„Das Bedrückendste am Leben im Dorf war für männliche Jugendliche am Beginn der Geschlechtlichkeit nicht das unausgesprochene permanente Überwachen aller durch alle, was eine erstickende Enge erzeugte, und nicht der unterdrückte Hass der Väter aufeinander, die nichts wollten als einander aus dem Weg zu gehen, um vergessen zu können, dass die eine Hälfte der Dorfbewohner vor zwanzig Jahren Nazis gewesen war und die andere Hälfte rote Vaterlandsverräter…Das Bedrückendste war die Langeweile.“

Das Ende dieser Langeweile trat ein mit dem Kauf der ersten Schallplatte der Edgar Broughton Band. Die Ängste der Geduckten, der im Leben zu kurz Gekommenen, die sie von ihren Eltern übernommen hatten wurden plötzlich aufgebrochen von Zorn, Wut, Mut und Hoffnung, ohne sie gänzlich verschwinden zu lassen.

Doch während Edgar Broughton als siebzehnjähriger junger Mann aus der Working Class erstmals aus der Dumpfheit des Lebens an Werkbänken und Fließbändern ausbrach und mit dem Daumen, egal wohin, aufbrach, um sich in Clubs mit nachgespielten Bluesnummer über Wasser zu halten, hatte Charly diesen Aufbruch aus Dorf und Schule, von den Alten und all jenen, die ihm ständig sagten, was er zu tun und zu lassen habe, nie ganz gewagt. Bloß kleinere Rebellionen gegen all jene Erwartungen, die ein Dorf in ihre Jugend setzte. Drogen, Sex und Rock ‚n‘ Roll standen auf Charlys Liste jener Dinge, die in dem Dorf unzugänglich waren und höchstens einen Abklatsch zuließen, der in einem strengen Kater nach einem Bierrausch zum Ausdruck kam. Als einziges Arbeiterkind wurde Charly auf Betreiben seiner Mutter in eine katholische Privatschule unter Söhne von Großbauern, Ärzten und Fabrikbesitzern verfrachtet, damit sie nicht mehr nur die Frau eines Maurers wäre, sondern Mutter eines erfolgreichen Sohnes würde. Danach sechsjähriges Abmühen mit einem Studium, das ihn nicht interessierte, um sich anschließend vom Journalisten eines Lokalblattes in die höheren Sphären einer konservativen, der sogenannten Qualitätspresse angehörigen Tageszeitung hochzuarbeiten. Erst in späten Jahren erfolgte der Ausbruch aus dieser Komfortzone in die Unwägbarkeiten des freien Schriftstellertums und doch fühlte sich Charly nur als das geworden, was er und sein Bruder so verachtet hatten. Ein Spießer mit Familie, zuerst mit Miet-, dann Eigentumswohnung und letztendlich eigenem Haus auf dem Land.

Charly hörte mit den Jahren die Musik der Edgar Broughton Band nicht mehr in jener Endlosschleife der Jugendjahre, aber wenn er dann beispielsweise hie und da beispielsweise „Green Lights“ abspielte, entzündete sich schlagartig eine Sehnsucht nach den glücklichen Tagen jener Zeit. Bis er dann die Rockpalast-DVD von 2006 erstand und ihn eine unendliche Traurigkeit befiel:

„In seinem Kopf war immer noch das Bild von dem jungen Wilden mit der wallenden Haarpracht und dem üppigen Bart. Ein kleiner, stämmiger älterer Herr mit Sonnenbrille saß in dem Video mit seiner Gitarre auf einem Stuhl, offensichtlich in einem Hotelzimmer, glatt rasiert, sehr hohe Stirn, die Haare hinten immer noch lang, aber schütter und grau, in grünem Shirt und dunkelgrauer Hose. Alt ist er geworden, dachte Charly, und wusste, dass das auch für ihn galt.“

Edgar Broughton und „Charly“ (Foto/Copyright: Walter Litzlberger)

Dies schien der Auslöser für jenes Vorhaben Charlys gewesen zu sein, eine Biografie über die Edgar Broughton Band zu verfassen. Charly nimmt Kontakt zu Edgar auf und schon nach dem ersten Treffen verwirft er diesen Plan auch schon wieder. Denn er muss erkennen, dass Edgar mehr ist als ein Rockmusiker. Charly erkennt ihn Edgar einen Künstler, „der seine Verletzungen und Verwundungen aus dem schwarzen, trüben Sumpf in den tiefen Schichten der Seele, in denen sie vor sich hin blubbern, herauszieht und ans Licht hält“. Stattdessen reift ihn Charly der Gedanke heran, ein Buch über den Gewinn zu schreiben.

„Einen Freund gewinnen. Gewissheit gewinnen. Etwas erfahren über das Idol und den Mann, der vor einer Ewigkeit sein Wegweiser gewesen war durch eine weglose feindliche Lebenswüste.“

Als erst vor knapp mehr als einem halben Jahrhundert Geborener gingen die wenigen Jahre des Höhenflugs der Edgar Broughton Band noch an meinem Bewusstsein vorbei und ich hörte erstmals vor etwas mehr als zehn Jahren durch einen älteren Freund von der Band. Mehr dem Zufall war es zu verdanken, dass ich auf einen Veranstaltungshinweis aufmerksam wurde. Im „Tunnel“ wurde die Buchpräsentation von „Out Demons Out“ angekündigt und wenn nicht als musikalische Begleitung der Präsentation Edgar Broughton himself mit dabei gewesen wäre, hätte ich der Veranstaltung wohl kaum Beachtung geschenkt. Erst durch die Lesung Walter Kohls aus seinem Werk wurde meine Skepsis gegenüber Autoren, die eine Ode über ihre Idole verfassen, in diesem Fall beiseitegeschoben.

Doch kaum begonnen das Buch zu lesen, überfielen mich neuerliche Zweifel. Wie nun? In einem Zug durchlesen, wie es mir meine durch die ersten Seiten geweckte Gier aufdrängen wollte? Oder doch innehalten bei den zahlreichen Fragen, die sich in diesem Werk stellen, aber doch nie aufdringlich in den Vordergrund drängen? Ohne auch nur einmal die Sentenz aus Theodor Adornos „Minima Moralia“ von der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen wörtlich zu erwähnen, spielt genau diese Frage die zentrale Rolle in Walter Kohls Buch.

„Er fand die Welt der Freiheit in Pop und Rock. Also nicht die Freiheit, aber es war der erste Zipfel von Freiheit, den er zu fassen bekam, und solange er nicht aufhörte, daran zu ziehen und zu versuchen, immer mehr davon rauszuholen, wie bei einem Tischzauberer, der ein Tüchlein aus dem Ärmel holt, und daran ist ein weiteres geknüpft und noch eins und noch eins, so kam immer mehr zu ihm und zugleich kam Charly immer mehr hinaus, kam in die Welt und damit letzten Endes zu sich selber.“

Zu guter Letzt über die Darbietung Edgar Broughton’s im „Tunnel“, die sich kaum mit schöneren Worten, als jenen Walter Kohls beschreiben lässt:

„Sehr langsam schlug Edgar die einleitenden Akkorde an, dann hob er an mit seiner bekannten Stimme, die irgendwie gepresst und angestrengt klangen, als würde es ihm Schmerzen bereiten, dieses Lied zu singen. Es war unglaublich schön. Um ein Vielfaches schöner,…, so weise und wissend, der Mann hat gelebt, ein langes Leben, dachte Charly, und er weiß, was Leben ist. So todtraurig und zugleich so prall von Lebenslust, eine Klage über unsere Vergänglichkeit und gleichzeitig eine machtvolle Hymne auf das Leben, auf das Weiterleben, …“

Ach ja, was meine Entscheidung betrifft: Ich hab das Buch zweimal gelesen, einmal in einem Zug und danach gleich noch einmal, immer wieder innehaltend, was auch zur Erklärung meiner erst mehr als vier Wochen nach der Präsentation erscheinen Rezension dient.

Autor: Walter Kohl
Titel: „Out Demons Out“
Seiten: 280
Verlag: Picus, 2017
Preis: 24,00 €

Titelbild: Edgar Broughton Band (youtube.com)

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